Bevor ich sterbe
Taschen tragen und meine hauchzarten Seidenblättchen auf ihre Kissen streuen, damit sie besser schlafen können. Was werden sie dann träumen?
Im Sommer werden sie mich essen. Adam wird über den Zaun klettern, um mich zu stehlen, wie von Sinnen davon, wie ich dufte, wie prall ich bin, wie glänzend und gesund. Er wird seine Mutter überreden, mich auf einem Blechkuchen oder in einem Strudel zu backen, und mich dann verschlingen.
Ich liege auf dem Boden und versuche es mir vorzustellen. Richtig, echt. Ich bin tot. Ich verwandle mich in einen Apfelbaum. Aber es ist ein bisschen schwierig. Ich möchte wissen, was mit dem Vogel ist, den ich vorhin sah; ob er weggeflogen ist. Und was sie drinnen machen, ob sie mein Fehlen schon bemerkt haben.
Ich drehe mich auf den Bauch und drücke mein Gesicht richtig ins Gras; die Kälte schlägt mir entgegen. Ich durchfurche den Boden mit den Händen, ziehe meine Finger ans Gesicht, um die Erde zu riechen. Sie riecht nach modrigem Laub, Wurmatem.
»Was machst du da?«
Ganz langsam schaue ich mich um. Adams Gesicht ist verkehrt herum. »Ich hab gedacht, ich schau mal nach dir. Alles in Ordnung?«
Ich setze mich auf und klopfe mir den Dreck von der Hose. »Mir geht’s gut. Da drin war mir so warm.«
Er nickt, als ob das eine Erklärung dafür wäre, warum feuchte Blätter an meiner Jacke kleben. Ich sehe wie ein Iddi aus, das weiß ich genau. Außerdem habe ich auch noch meine Kapuze unter dem Kinn zugebunden wie eine alte Frau. Rasch knüpfe ich sie auf.
Seine Jacke knarzt, als er sich neben mich setzt. »Willste’ne Fluppe?«
Ich nehme die Zigarette, die er mir anbietet, und lasse mir Feuer geben. Er zündet seine eigene an, und schweigend blasen wir Rauch durch den Garten. Ich spüre seinen Blick auf mir. Meine Gedanken sind so glasklar, dass ich nicht überrascht wäre, wenn ich sie über meinem Kopf aufleuchten sähe wie ein Neonschild vor einem Fish-and-Chips-Laden. Ich steh auf dich. Blink. Blink. Blink. Mit einem roten Neonherz, das neben den Worten glüht.
Ich lege mich zurück aufs Gras, um seinem Blick auszuweichen. Die Kälte sickert wie Wasser durch meine Hose.
Er legt sich neben mich, genau neben mich. Es tut so was von weh, ihn so nah zu haben. Mir ist schon ganz schlecht davon.
»Das ist der Gürtel des Orion«, sagt er.
»Was?«
Er zeigt in den Himmel rauf. »Siehst du diese drei Sterne in einer Reihe? Mintaka, Alnilam, Alnitak.« Sie erblühen an seinen Fingerspitzen, als er sie bei ihren Namen nennt.
»Woher weißt du das?«
»Als ich klein war, hat mein Dad mir Geschichten über die Sternbilder erzählt. Wenn man das Fernglas auf eine Stelle direkt unterhalb des Orion richtet, sieht man eine Gaswolke, in der alle neuen Sterne geboren werden.«
»Neue Sterne? Ich hab gedacht, das Universum stirbt ab.«
»Das kommt ganz drauf an, wie man es sieht. Es expandiert auch.« Er dreht sich auf die Seite und stützt sich auf einen Ellenbogen. »Ich hab mir von deinem Bruder erzählen lassen, wie das mit deinem Ruhm war.«
»Und hat er dir erzählt, dass es der totale Reinfall war?«
Er lacht. »Nein, aber jetzt musst du das nachholen.«
Ich bringe ihn gern zum Lachen. Er hat einen schönen Mund, und so komme ich dazu, ihn mir genau anzusehen. Also erzähle
ich ihm von dem ganzen albernen Rundfunkauftritt und stelle es viel komischer hin, als es war. Dabei mache ich mich zu einer Heldin, einer Anarchistin des Äthers. Und weil das so gut ankommt, erzähle ich gleich weiter, wie ich Dads Auto genommen und Zoey zu dem Hotel gefahren habe. Wir liegen im feuchten Gras, über uns der gewaltige Himmel mit einem niedrigen, hell leuchtenden Mond, und ich erzähle ihm von dem Wandschrank und dass mein Name von der Landkarte radiert wurde. Ich erzähle ihm sogar von meiner Macke, an Wände zu schreiben. Im Dunkeln lässt sich leichter reden – das wusste ich vorher noch gar nicht.
Als ich zu Ende bin, sagt er: »Mach dir keine Sorgen, du könntest vergessen werden, Tess.« Und dann: »Glaubst du, sie suchen nach uns, wenn wir zehn Minuten nach nebenan gehen?«
Wir lächeln beide.
Blink, blink , macht das Schild über meinem Kopf.
Während wir durch die Zaunlücke und den Weg zu seiner Hintertür raufgehen, streift sein Arm meinen. Wir berühren uns kaum, aber es durchzuckt mich.
Ich folge ihm in die Küche. »Warte kurz hier«, sagt er. »Ich hab ein Geschenk für dich«, und er verschwindet in den Flur und läuft die Treppe hoch.
Kaum ist er weg, fehlt
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