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Bevor ich sterbe

Bevor ich sterbe

Titel: Bevor ich sterbe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Downham
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letzter Zeit ASS-Produkte eingenommen?«
    »Tut mit leid. Ich habe keine Ahnung.«
    Ich beschließe, ihr zu Hilfe zu eilen. Sie verkraftet das nicht und könnte einfach auf- und davonlaufen, wenn es zu schwierig für sie wird.
    »Am einundzwanzigsten Dezember hatte ich meine letzte Thrombozytentransfusion«, sage ich. Eigentlich ist es mehr ein Krächzen. In meiner Kehle blubbert Blut.
    Der Arzt sieht mich stirnrunzelnd an. »Nicht reden. Mutter, kommen Sie mal hier rüber, und halten Sie Ihrer Tochter die Hand.«
    Gehorsam kommt sie und setzt sich auf die Bettkante.
    »Einmal die Hand von deiner Mutter drücken heißt Ja«, weist mich der Arzt an. »Zweimal Nein. Verstanden?«
    »Ja.«
    »Psst«, macht er. »Drücken. Nicht reden.«
    Wir nehmen das Ganze noch mal durch – die blauen Flecken, die Kopfschmerzen, das Aspirin, nur dass Mum diesmal die Antworten weiß.
    »Bonjela oder Teejel?«, fragt der Arzt.
    Ich drücke zweimal. »Nein«, erklärt Mum. »Hat sie nicht genommen.«
    »Entzündungshemmer?«
    »Nein«, sagt Mum. Sie schaut mir in die Augen. Endlich spricht sie meine Sprache.
    »Gut«, sagt der Arzt. »Ich werde deine Nase vorne mit Verbandmull tamponieren. Wenn das nicht reicht, tamponieren wir sie hinten, und wenn die Blutung dann noch anhält, müssen wir veröden. Wurde deine Nase schon mal verödet?«

    Ich drücke Mums Hand so fest, dass sie das Gesicht verzieht. »Ja.«
    Das tut höllisch weh. Noch Tage danach hatte ich den Geruch meines eigenen verätzten Fleisches in der Nase.
    »Wir müssen deine Thrombozyten überprüfen«, fährt er fort. »Es würde mich wundern, wenn du nicht unter zwanzig bist.« Durch die Decke berührt er mein Knie. »Eine fiese Nacht ist das für dich.«
    »Unter zwanzig?«, plappert Mum nach.
    »Wahrscheinlich braucht sie ein paar Einheiten«, erklärt er. »Keine Sorge, es wird nicht über eine Stunde dauern.«
    Während er sterile Baumwolle in meine Nase stopft, versuche ich mich auf einfache Dinge zu konzentrieren – einen Stuhl, die Zwillingsweißbirken in Adams Garten und wie ihre Blätter in der Sonne zittern.
    Aber ich kann es nicht festhalten.
    Ein Gefühl ist das, als hätte ich eine Damenbinde verspeist; mein Mund ist trocken, und das Atmen fällt mir schwer. Ich schaue Mum an, sehe aber nur, dass ihr komisch geworden ist und sie das Gesicht abgewandt hat. Wie kann es sein, dass ich mich älter fühle als meine Mutter? Ich mache die Augen zu, um nicht mit ansehen zu müssen, wie sie versagt.
    »Nicht ganz wohl in deiner Haut?«, fragt der Arzt. »Mutter, wie wär’s, wenn Sie sie ein wenig ablenken?«
    Ich wünschte, das hätte er nicht gesagt. Was sie jetzt wohl macht? Ein Tänzchen hinlegen? Singen? Vielleicht führt sie uns ihre berühmte Verschwindenummer vor und geht zur Tür raus.
    Das Schweigen hält lange an. Dann: »Weißt du noch, der Tag, als wir alle Austern probiert haben, und wie sich dein Dad in den Mülleimer am Ende von der Seebrücke übergeben musste?«
    Ich mache die Augen auf. Alle Schatten in dem Zimmer ziehen
sich zurück von der Helligkeit ihrer Worte. Selbst die Schwester lächelt.
    »Die haben genau wie das Meer geschmeckt«, sagt sie. »Weißt du noch?«
    Und ob. Wir hatten vier gekauft, für jeden von uns eine. Mum legte den Kopf in den Nacken und schluckte ihre ganz runter. Ich machte es ihr nach. Aber Dad kaute auf seiner rum, und sie blieb ihm zwischen den Zähnen stecken. Er lief die Seebrücke runter und hielt sich den Magen, und als er wiederkam, trank er eine ganze Dose Limo, ohne abzusetzen. Cal mochte die Dinger auch nicht. »Vielleicht sind sie was für Frauen«, sagte Mum und kaufte uns beiden noch je eine.
    Sie macht weiter und beschreibt eine Stadt am Meer und ein Hotel, einen kurzen Weg zum Strand und Tage, an denen die Sonne hell und warm schien.
    Die Schwester lacht dazu, und Mum lächelt. »Du warst ein wundervoll phantasiebegabtes kleines Mädchen«, sagt sie mir. »Und so pflegeleicht.«
    Wenn ich reden könnte, würde ich sie fragen, warum sie mich dann verlassen hat. Und sie würde vielleicht endlich von dem Mann erzählen, für den sie Dad aufgegeben hat. Sie könnte mir von einer so großen Liebe erzählen, dass ich anfangen würde zu begreifen.
    Aber ich kann nicht reden. Meine Kehle fühlt sich zugeschnürt und fiebrig an. Also höre ich einfach nur zu, wie Mum eine frühere Sonne, verblasste Tage, verflossene Schönheit ausmalt. Sie macht das gut, ist sehr erfinderisch. Sogar der Arzt sieht aus, als

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