Bevor ich sterbe
ich.
Er lächelt. »Ich will dich immer. Aber es ist spät, du musst jetzt schlafen.«
Der Schnee macht die Welt draußen heller. Licht sickert durchs Fenster. Beim Einschlafen sehe ich das Schimmern und Leuchten davon auf seiner Haut.
Als ich aufwache, ist es noch Nacht, und er schläft. Sein Haar ist dunkel auf dem Kissen, einen Arm hat er quer über mich geworfen, als könnte er mich hier festhalten. Er seufzt, hört zu atmen auf, bewegt sich und atmet weiter. Er ist mitten im Schlaf – ein Teil von dieser Welt, aber auch ein Teil einer anderen. Seltsam tröstlich ist das für mich.
Aber davon, dass er da ist, tun meine Beine nicht weniger weh. Ich lasse ihm das Federbett, wickle mich in die Wolldecke und tapse ins Bad, um mir Kodein zu holen.
Als ich rauskomme, steht Dad in seinem Morgenmantel auf
dem Treppenabsatz. Ich hatte vergessen, dass es ihn überhaupt gibt. Er hat keine Hausschuhe an den Füßen. Seine Zehen sehen sehr lang und grau aus.
»Offenbar wirst du alt«, sage ich ihm. »Alte Leute stehen nachts auf.«
Er zieht seinen Bademantel fester zu. »Ich weiß, dass Adam bei dir drin ist.«
»Und ist Mum bei dir drin?«
Das kommt mir wie ein schlagendes Argument vor, aber er geht gar nicht erst darauf ein. »Das hast du ohne meine Erlaubnis gemacht.«
Ich schaue zu Boden und hoffe, dass er bald damit fertig ist. Meine Beine fühlen sich aufgequollen an, so als ob meine Knochen anschwellen. Ich trete von einem Fuß auf den anderen.
»Ich will kein Spielverderber sein, Tess, aber meine Aufgabe ist es nun mal, auf dich aufzupassen, und ich will nicht, dass du dir wehtust.«
»Dafür ist es bisschen spät.«
Das sollte ein Witz sein, aber er lächelt nicht mal. »Adam ist noch nicht erwachsen, Tessa. Du kannst dich nicht in jeder Hinsicht auf ihn verlassen: Er könnte dich enttäuschen.«
»Wird er aber nicht.«
»Und wenn doch?«
»Dann hab ich doch noch dich.«
Es ist merkwürdig, ihn im Dunkeln auf dem Treppenabsatz in die Arme zu nehmen. Wir halten einander so fest wie nie, seit ich denken kann. Irgendwann löst er seine Umklammerung und sieht mich sehr ernst an.
»Ich werde immer für dich da sein, Tess. Was immer du tust, ganz gleich, was bei dir noch alles auf dem Programm steht, was auch immer deine dämliche Liste von dir verlangt. Das sollst du wissen.«
»Da ist kaum noch was übrig.«
Nummer neun ist, dass Adam zu mir zieht. Tiefer als Sex. Es geht darum, dem Tod ins Auge zu sehen, aber nicht allein. Mein Bett ist nichts Beängstigendes mehr, sondern ein Ort, den Adam anwärmt, wo er auf mich wartet.
Dad küsst mich auf den Scheitel. »Dann ab mit dir.«
Er verschwindet im Bad.
Ich gehe zu Adam zurück.
EINUNDDREISSIG
D er Frühling zieht einen mächtig in seinen Bann.
Das Blau. Die Wolken hoch oben, fluffig. Die Luft so warm wie seit Wochen nicht mehr.
»Heute Morgen war das Licht anders«, erzähle ich Zoey. »Es hat mich geweckt.«
Sie verändert ihre Haltung auf dem Liegestuhl. »Du Glückliche. Mich haben Wadenkrämpfe geweckt.«
Wir sitzen unter dem Apfelbaum. Zoey hat eine Decke vom Sofa mitgenommen und um sich geschlungen, aber mir ist überhaupt nicht kalt. Es ist so ein wonniger Märztag, an dem man meinen könnte, die Erde würde sich verneigen. Der Rasen ist mit Gänseblümchen gesprenkelt. Tulpenbüschel sprießen am Zaun entlang. Der Garten riecht sogar anders – feucht und erhaben.
»Alles okay mit dir?«, fragt Zoey. »Siehst ein bisschen komisch aus.«
»Ich konzentrier mich.«
»Auf was?«
»Zeichen.«
Mit leisem Stöhnen schnappt sie sich den Urlaubskatalog von meinem Schoß und blättert darin rum. »Dann folter ich mich eben mit dem hier. Sag Bescheid, wenn du fertig bist.«
Ich werde nie fertig sein.
Dieser Schlitz in den Wolken, durch den das Licht einfällt.
Dieser unternehmungslustige Vogel, der eine schnurgerade Bahn quer über den Himmel zieht.
Überall sind Zeichen. Die mich beschützen.
Cal ist jetzt auch schon auf diesem Trip, wenn auch eher von der praktischen Seite. Er nennt es »Todesabwehrzauber«.
Er hat Knoblauch über alle Türen und an die vier Ecken meines Bettes gehängt und DRAUSSEN-BLEIBEN-Schilder für das Vorder- und Hintertörchen gebastelt.
Als wir gestern ferngesehen haben, hat er unsere Beine mit einem Springseil aneinandergefesselt. Wir sahen aus wie am Start zu einem Drei-Fuß-Rennen.
Er hat gesagt: »Niemand kommt dich holen, wenn du an mich angebunden bist.«
»Und wenn sie dich gleich
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