Bevor ich sterbe
manchmal geht er dir auf die Nerven. Wetten, er labert voll die Scheiße oder will mit dir ins Bett, wenn du keinen Bock hast?«
»Nein.«
Sie wirft mir einen finsteren Blick zu. »Schließlich ist er ein Typ, oder?«
Wie kann ich es ihr erklären? Wie mich sein Arm um meine Schultern nachts tröstet? Wie sich sein Atmen im Lauf der Stunden ändert, sodass ich merke, wann der Morgen dämmert? Jeden Morgen, wenn er aufwacht, küsst er mich. Seine Hand auf meiner Brust lässt mein Herz schneller schlagen.
Dad kommt auf dem Gartenweg auf mich zu, in der einen Hand immer noch seine Ananas. »Du musst jetzt reinkommen. Philippa ist da.«
Aber ich will nicht drinnen sein. Ich habe Probleme mit Wänden. Ich will unter dem Apfelbaum bleiben, in der Frühlingsluft draußen.
»Bitte sie rauszukommen, Dad.«
Achselzuckend geht er wieder zurück.
»Ich muss eine Blutuntersuchung machen lassen«, sage ich zu Zoey. Sie rümpft die Nase. »Na gut. Hier draußen ist es sowieso saukalt.«
Philippa zwängt ihre Finger in sterile Handschuhe. »Wirkt die Liebe immer noch Wunder?«
»Morgen feiern wir unsern Zehnten.«
»Zehn Wochen? Also, es tut dir ausgesprochen gut. Ich werde allen meinen Patienten empfehlen, sich zu verlieben.«
Sie hält meinen Arm hoch in den Himmel und säubert mit Mulltupfern um den Port.
»Schon alles gepackt?«
»Ein paar Kleider. Bikini und Sandalen.«
»Mehr nicht?«
»Was brauch ich denn sonst noch?«
»Na, zum Beispiel Sonnencreme, Sonnenhut und was Lang ärmliges zum Überziehen? Ich will nicht deinen Sonnenbrand behandeln müssen, wenn du wiederkommst.«
Ich mag es, wie sie mich betüttelt. Jetzt ist sie seit Wochen meine feste Pflegerin. Wer weiß, vielleicht bin ich ja ihre Lieblingspatientin?
»Wie geht’s Andy?«
Ein müdes Lächeln. »Er ist schon die ganze Woche erkältet. Obwohl er es natürlich zum grippalen Infekt erklärt. Du weißt ja, wie Männer sind.«
Das stimmt zwar eigentlich gar nicht, aber ich nicke trotzdem. Ich wüsste gern, ob ihr Mann sie liebt, ob er sie glücklich macht, ob er verzückt in ihren schwabbeligen Armen liegt.
»Warum hast du keine Kinder, Philippa?«
Sie sieht mir in die Augen, während sie eine Spritze Blut abnimmt. »Ich könnte mit solchen Ängsten nicht umgehen.«
Sie nimmt noch eine Spritze Blut ab, leert es in ein Röhrchen und spült meinen Port mit Kochsalzlösung und Heparin, ehe sie ihre Sachen in ihrer Medikamententasche verstaut und aufsteht. Erst denke ich, gleich beugt sie sich runter und umarmt mich, aber sie lässt es.
»Ich wünsch dir ganz viel Spaß«, sagt sie. »Und vergiss nicht, mir eine Ansichtskarte zu schicken.«
Ich sehe zu, wie sie den Weg raufwatschelt. In der Tür dreht sie sich um und winkt.
Zoey kommt wieder raus. »Nach was genau sucht sie in deinem Blut?«
»Krankheit.«
Mit wissendem Nicken nimmt sie wieder ihren Platz ein. »Dein Dad macht uns übrigens was zu essen. Er bringt’s gleich raus.«
Ein Blatt tanzt. Ein Schatten wandert einmal quer über den ganzen Rasen.
Überall sind Zeichen. Die einen setzt man selber, die anderen erreichen einen.
Zoey packt meine Hand und legt sie sich auf den Bauch.
»Sie tritt! Leg deine Hände hier hin – nein, da. Das ist es. Spürst du’s?«
Es ist ein langsames Rollen, als würde ihr Baby einen ganz trägen Purzelbaum machen. Ich will meine Hand nicht wegnehmen. Das Baby soll es noch mal tun.
»Du bist die Allererste, die das mitkriegt. Du hast es doch gespürt, oder?«
»Ja.«
»Stell sie dir vor«, sagt Zoey. »Stell sie dir richtig vor.«
Das mache ich oft. Ich habe sie an die Wand über meinem Bett gezeichnet. Es ist keine besonders tolle Zeichnung, aber alle Maße stimmen – Oberschenkelknochen, Abdomen, Kopfumfang.
Nummer zehn auf meiner Liste: Lauren Tessa Walker.
»Die Bausteine der Wirbelsäule sind schon alle am rechten Ort«, erzähle ich Zoey. »Dreiunddreißig Bandscheiben, hundertfünfzig Gelenke und tausend Bänder. Die Augen sind geöffnet, hast du das gewusst? Und die Netzhäute sind ausgebildet.«
Zoey blinzelt mich an, als könne sie nicht so recht glauben, dass irgendwer über derartige Informationen verfügt. Lieber erzähle ich ihr nicht, dass ihr eigenes Herz doppelt so schnell wie sonst schlägt, weil es sechs Liter Blut in der Minute pumpt. Das würde ihr nur Angst machen.
Dad kommt zu uns. »Bitte sehr, die Damen.« Er stellt das Tablett zwischen uns im Gras ab. Salat aus Avocado und Brunnenkresse. In Scheiben
Weitere Kostenlose Bücher