Bevor ich sterbe
Hinter ihm, draußen im Garten, wirbeln riesengroße Schneeflocken herab. Es muss angefangen haben, als wir raufgingen. Der Weg ist schneebedeckt, das Gras auch. Der Himmel ist voll davon. Die Welt wirkt still und kleiner.
»Du hast Schnee gewollt.« Er streckt eine Hand aus, um eine Flocke aufzufangen, und zeigt sie mir. Es ist eine ganz anständige, wie ich sie früher in der Grundschule aus Papierdeckchen
ausgeschnitten und an Fenster geklebt habe. Wir sehen zu, wie sie in seiner Handfläche schmilzt.
Ich hole meinen Mantel. Adam rafft Stiefel, Schal und Mütze von mir zusammen und hilft mir die Stufe runter. Mein Atem wird zu Raureif. Es schneit so heftig, dass unsere Fußspuren schon gleich wieder zugeschneit sind.
Auf dem Rasen liegt der Schnee höher; als wir drauftreten, knirscht er. Wir stapfen unsere Namen rein, versuchen ihn zu durchdringen, zum Gras drunter vorzustoßen. Aber Neuschnee verweht jede Spur, die wir hinterlassen.
»Guck mal«, sagt Adam.
Er liegt flach auf dem Rücken und rudert mit Armen und Beinen durch den Schnee. Er schreit, so kalt ist es an seinem Nacken, seinem Hinterkopf. Dann springt er wieder auf und stapft den Schnee von seiner Hose.
»Für dich«, sagt er. »Ein Schneeengel.«
Es ist das erste Mal, dass er mich ansieht, seit ich an die Wand geschrieben habe. Sein Blick ist traurig.
»Schon mal ein Schnee-Eis probiert?«, frage ich ihn.
Ich schicke ihn ins Haus, eine Schüssel, Puderzucker, Vanillezucker und einen Löffel holen. Ganz nach meiner Anweisung packt er ein paar Handvoll Schnee in die Schüssel und vermischt alle Zutaten. Es wird matschig, braun, schmeckt merkwürdig. Anders als ich es aus meiner Kindheit in Erinnerung habe.
»Vielleicht war es mit Joghurt und Orangensaft.«
Er spurtet los. Kommt wieder. Wir versuchen es noch mal. Es schmeckt noch schlechter, aber diesmal lacht er.
»Was für ein schöner Mund«, sage ich ihm.
»Du zitterst«, sagt er. »Du gehörst ins Haus.«
»Nicht ohne dich.«
Er schaut auf seine Uhr.
Ich sage: »Wie nennt man einen Schneemann in der Wüste?«
»Ich muss gehen, Tess.«
»Eine Pfütze.«
»Im Ernst.«
»Du kannst jetzt nicht weg, ein Schneesturm wütet. Ich finde nimmermehr nach Haus.«
Ich ziehe meinen Reißverschluss auf und öffne meinen Mantel so weit, dass er von einer Schulter rutscht. Vorhin hat Adam minutenlang genau dieses Stück Schulter geküsst. Er blinzelt in meine Richtung. Schnee fällt auf seine Wimpern.
Er fragt: »Was willst du von mir, Tess?«
»Die Nächte.«
»Was willst du wirklich ?«
Ich hab gewusst, er würde es verstehen.
»Ich will, dass du im Dunkeln bei mir bist. Mich hältst. Mich immer weiter liebst. Mir hilfst, wenn ich es mit der Angst zu tun bekomme. Bis an den äußersten Rand mitkommst und siehst, was dahinter ist.«
Er sieht mir sehr tief in die Augen. »Und wenn ich es falsch anpacke?«
»Das geht überhaupt nicht.«
»Ich könnte dich enttäuschen.«
»Bestimmt nicht.«
»Oder die Panik kriegen.«
»Egal. Ich will nur, dass du da bist.«
Er blickt mich durch den verschneiten Garten an. Seine Augen sind sehr grün. Darin sehe ich, wie sich seine Zukunft vor ihm ausbreitet. Ich weiß nicht, was er in meinen sieht. Doch er ist mutig. Das habe ich immer über ihn gewusst. Er nimmt meine Hand und führt mich wieder ins Haus.
Oben fühle ich mich schwerer, so als hätte sich das Bett an mich geheftet und würde mich nach unten saugen. Adam braucht ewig, um sich auszuziehen, bis er fröstelnd in seinen Boxershorts dasteht.
»Soll ich also zu dir unter die Decke?«
»Nur wenn du willst.«
Er verdreht die Augen, so als käme man bei mir auf keinen grünen Zweig. Ich fürchte, dass die Leute mir nur nachgeben, weil sie ein schlechtes Gewissen haben. Ich will, dass Adam aus eigenem Willen hier ist. Wie werde ich je den Unterschied feststellen können?
»Sollten wir deiner Mum nicht Bescheid sagen?«, frage ich, als er neben mich ins Bett steigt.
»Ich sag es ihr morgen. Sie wird’s überleben.«
»Du machst das nicht aus Mitleid mit mir, oder?«
Er schüttelt den Kopf. »Hör auf damit, Tess.«
Wir halten uns umschlungen, frösteln aber immer noch nach dem Schnee; unsere Hände und Füße sind Eisklumpen. Wir fahren mit den Beinen Rad, um warm zu werden. Er reibt mich, streichelt mich, nimmt mich wieder in die Arme. Ich spüre seinen Schwanz wachsen. Das bringt mich zum Lachen. Er lacht auch, aber nervös, als lachte ich ihn aus.
»Willst du mich?«, frage
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