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Bevor ich sterbe

Bevor ich sterbe

Titel: Bevor ich sterbe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Downham
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kann, dass sie tägliche Besuche garantieren, können wir vielleicht eine neue Einschätzung abgeben.« Er klemmt meine Krankenakte wieder ans Fußende meines Bettes. »Ich ruf dort an und komme wieder, wenn dein Vater auftaucht.«

    Als er weg ist, zähle ich bis hundert. Eine Fliege nascht auf dem Tisch herum. Ich fasse mit einem Finger nach ihr, um diese hauchdünnen Flügel zu berühren. Sie spürt meine Annäherung, wirft ihren Motor an und fliegt in Zickzacklinien zur Lampenverkleidung hoch, die sie, außer Reichweite, umkreist.
    Ich ziehe meine Jacke an, lege mir den Schal um die Schultern und nehme meine Tasche in die Hand. Die Schwester merkt nicht einmal, dass ich an ihrem Schalter vorbei in den Aufzug gehe.
    Als ich im Erdgeschoss ankomme, simse ich Adam: »WEISST DU NOCH DEIN VERSPRECHEN?«
    Ich will selbstbestimmt sterben. Es ist meine Krankheit, mein Tod, meine Entscheidung.
    Das bedeutet Ja sagen.
    Wie schön es ist zu gehen, einen Fuß vor den anderen, den gelben Linien zu folgen, die sich über den Boden im Korridor bis zum Empfang ziehen. Wie schön Drehtüren sind – zweimal gehe ich mit, zu Ehren des Genies, das sie erfunden hat. Und wie schön die Luft ist. Die lockende, kühle, aufschreckende Welt draußen.
    Am Tor ist ein Kiosk. Ich kaufe eine Tafel Vollmilchschokolade und ein Päckchen Kaugummi. Die Verkäuferin sieht mich komisch an, als ich zahle. Vielleicht strahle ich ein bisschen von den ganzen Behandlungen, und manche Leute können das sehen, wie eine Neonnarbe, die aufleuchtet, wenn ich mich bewege.
    Langsam gehe ich zum Taxistand, koste jede Einzelheit aus – die Überwachungskamera an dem Laternenpfahl, die an ihrer Achse schwenkt, die Handys, die überall um mich rum zwitschern. Das Krankenhaus scheint zurückzuweichen, während ich flüsternd auf Wiedersehen sage, Platanenschatten verdunkeln alle Fenster.
    Ein Mädchen geht hüftschwingend mit klackenden Stöckelschuhen
vorbei, umgeben von Brathähnchenduft, während sie sich die Finger leckt. Ein Mann mit heulendem Kind auf dem Arm ruft in sein Handy: »Nein! Ich kann nicht auch noch Scheißkartoffeln schleppen!«
    Wir erzeugen Muster, haben teil an Momenten. Manchmal glaube ich, dass ich die Einzige bin, die das bemerkt.
    Ich teile meine Schokolade mit dem Taxifahrer, während wir uns in den Mittagsverkehr einfädeln. Heute schiebt er eine Doppelschicht, erzählt er mir, und für seinen Geschmack sind zu viele Autos auf den Straßen. Unglücklich zeigt er auf sie, während wir durch die Innenstadt schleichen.
    »Wo soll das noch hinführen?«, möchte er wissen.
    Zur Aufmunterung biete ich ihm ein Kaugummi an. Dann simse ich Adam wieder: »HALTE DEIN VERSPRECHEN.«
    Das Wetter schlägt um, die Sonne verschwindet hinter Wolken. Ich mache das Fenster auf. Kalte Aprilluft strömt in meine Lunge.
    Der Fahrer trommelt ungeduldig mit den Fingern auf das Lenkrad. »Totaler Verkehrskollaps!«
    Mir gefällt’s – wie der Verkehr stockt und sich weiterschiebt, das tiefe Getrommel eines Busmotors, weiter weg eine hektische Sirene. Mir gefällt’s, so langsam auf der High Street langzukriechen, dass ich Zeit habe, im Fenster vom Zeitungskiosk noch nicht verkaufte Ostereier zu sehen und die fein säuberlich auf einen Haufen zusammengekehrten Zigarettenkippen vor dem Hähnchenimbiss. Ich sehe Kinder mit den seltsamsten Dingen im Arm – einem Eisbär, einem Tintenfisch. Und unter den Rädern eines Buggys vor dem Babyladen sehe ich meinen Namen, inzwischen zwar verblasst, aber er windet sich noch bis hin zur Bank über den Bürgersteig.
    Ich rufe Adam auf seinem Handy an. Weil er nicht rangeht, hinterlasse ich ihm noch eine Nachricht: ICH WILL DICH.
    Schlicht und ergreifend.

    Mitten auf der Kreuzung steht ein Krankenwagen quer, mit offenen Türen, wirft sein blinkendes Blaulicht über die Straße. Das Licht blinkt bis zu den tief hängenden Wolken hinauf. Eine Frau liegt auf der Straße, mit einer Decke drüber.
    »Sehen Sie sich das an«, sagt der Taxifahrer.
    Alle schauen – Leute in anderen Autos, Büroangestellte mit ihrem Mittagssandwich. Der Kopf der Frau ist bedeckt, aber die Beine schauen raus. Sie hat eine Strumpfhose an; ihre Schuhe sind merkwürdig abgewinkelt. Ihr Blut, dunkel wie Regen, bildet neben ihr eine Pfütze.
    Der Taxifahrer wirft mir in seinem Spiegel einen raschen Blick zu. »Da wird einem einiges klar, was?«
    Ja. Wie handfest das ist. Sein oder Nichtsein.
     
    Ich fühle mich wie mit Saft in den Zehen, der durch

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