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Bevor ich sterbe

Bevor ich sterbe

Titel: Bevor ich sterbe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Downham
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er in einem gewaltigen Scheppern von Glas und Plastik.
    Das war’s. Alles weg. Fertig.
     
    Dad stürmt rein. Ein Weilchen bleibt er mit offenem Mund wie angewurzelt stehen.
    »Du Ungeheuer«, flüstert er.
    Ich muss mir die Ohren zuhalten.
    Er kommt und packt mich an beiden Armen. Sein Atem riecht nach schalem Tabak. »Willst du mir gar nichts übrig lassen?«
    »Es war keiner da!«
    »Da hast du dir gedacht, dann zertrümmerst du mal eben die ganze Bude?«
    »Wo warst du?«
    »Einkaufen. Und dann bin ich ins Krankenhaus gegangen, um dich zu besuchen, aber du warst nicht da. Wir waren alle außer uns.«
    »Mir doch scheißegal, Dad!«
    »Mir aber nicht! Mir ist es überhaupt nicht scheißegal! Das hier wird dir die letzten Kräfte rauben.«
    »Es ist mein Körper. Ich kann machen, was ich will!«
    »Dein Körper ist dir jetzt also egal?«
    »Ja, ich hab’s satt! Ich hab die Nase gestrichen voll von Ärzten und Spritzen und Blutuntersuchungen und Transfusionen. Ich hab’s satt, den ganzen Tag im Bett bleiben zu müssen, während ihr anderen alle mit euren Leben weiterkommt. Das steht mir
alles bis hier! Ich hab euch alle gefressen! Adam ist zum Vorstellungsgespräch in einer Uni, hast du das gewusst? Er wird jahrelang hier sein und alles machen, was er will, und ich, ich bin in ein paar Wochen unter der Erde!«
    Dad fängt an zu weinen. Er sackt aufs Bett, stützt den Kopf in beide Hände und heult einfach drauflos. Ich weiß nicht, was ich machen soll. Warum ist er schwächer als ich? Ich setze mich neben ihn und berühre ihn am Knie. »Ich geh nicht ins Krankenhaus zurück, Dad.«
    Er wischt sich mit dem Hemdsärmel die Nase und sieht mich an. Wie Cal sieht er aus. »Reicht es dir wirklich?«
    »Mir reicht’s wirklich.«
    Ich lege den Arm um ihn, und er lehnt seinen Kopf an meine Schulter. Ich streichle seine Haare. Als würden wir in einem Boot auf dem Wasser treiben. Vom offenen Fenster weht sogar ein Luftzug zu uns herüber. Unendlich lange sitzen wir so.
    »Man kann nie wissen, vielleicht sterbe ich nicht, wenn ich zu Hause bin.«
    »Das wär richtig schön.«
    »Stattdessen mach ich mein Abi. Und geh zur Uni.«
    Seufzend streckt er sich auf dem Bett aus und schließt die Augen. »Eine gute Idee.«
    »Dann fang ich zu arbeiten an, und eines Tages krieg ich vielleicht Kinder – Chester, Merlin und Daisy.«
    Dad öffnet kurz ein Auge. »Gott steh ihnen bei!«
    »Du wirst Opa. Wir besuchen dich andauernd. Jahrelang besuchen wir dich, bis du neunzig bist.«
    »Und was dann? Dann stellt ihr die Besuche ein?«
    »Nein, dann stirbst du. Vor mir. So wie es sich gehört.«
    Er sagt nichts. Wo die Dunkelheit durch das Fenster eindringt und ein Schatten seinen Arm berührt, scheint er zu verschwinden.
    »Dann wohnst du nicht mehr in diesem Haus, sondern in
was Kleinerem dicht am Meer. Ich hab einen Schlüssel, weil ich dich so oft besuche, und eines Tages schließ ich wie sonst auf, aber die Vorhänge sind noch zu, und die Post liegt auf der Fußmatte. Ich geh ins Schlafzimmer rauf, um nach dir zu sehen. Als ich dich friedlich im Bett liegen sehe, bin ich so erleichtert, dass ich laut auflache. Aber dann zieh ich die Vorhänge auf, und da seh ich, dass deine Lippen blau sind. Ich berühre deine Wange, die kalt ist. Immer wieder sag ich deinen Namen, aber du kannst mich nicht hören und machst die Augen nicht auf.«
    Dad setzt sich auf. Er weint wieder. Ich halte ihn fest umarmt und tätschle seinen Rücken.
    »Tut mir leid. Mach ich dir Angst?«
    »Nein, nein.« Er macht sich los, wischt sich mit einer Hand über die Augen. »Ich geh dann besser mal draußen aufräumen, bevor es dunkel wird. Du hast doch nichts dagegen, wenn ich mich da jetzt an die Arbeit mache?«
    »Nein.«
    Vom Fenster aus sehe ich ihm zu. Jetzt regnet es heftig, und er hat seine Gummistiefel und einen Anorak an. Aus dem Schuppen holt er einen Besen und die Schubkarre. Dann zieht er Arbeitshandschuhe über. Er hebt auf, was vom Fernseher übrig ist, fegt die Glasscherben zusammen, holt einen Karton, in den er alle Bücher stapelt, und klaubt sogar die einzelnen Seiten auf, die flatternd am Zaun hängen.
    Cal kreuzt in seiner Schuluniform auf, mit Rucksack und Fahrrad. Er sieht normal und gesund aus. Dad geht zu ihm und nimmt ihn in den Arm.
    Cal schmeißt sein Rad hin und beteiligt sich am Aufräumen. Wie er so jeden einzelnen Ring hochhält, um ihn zu betrachten, sieht er aus wie ein Schatzjäger. Er findet die Silberkette, die ich zu meinem

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