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Bevor ich verbrenne

Bevor ich verbrenne

Titel: Bevor ich verbrenne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gaute Heivoll
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fiel ihm schwer, sich auf das Buch zu konzentrieren. Die Situation war zu absurd. Er, der Domkantor von Kristiansand, ausgebildet am Konservatorium in Oslo, der Juilliard School of Music in New York und dem Konservatorium im niederländischen Den Haag, saß mit einem geladenen Gewehr neben sich vor seinem eigenen Haus, versteckt hinter einem Busch. Er, der noch vor wenigen Tagen die Internationalen Kirchenfestspiele in der Domkirche von Kristiansand eröffnet hatte, mit Ingrid Bjoner persönlich, die mit ihrer Schwester Pergolesis himmlisches Stabat mater in dem voll besetzten Dom aufgeführt hatte, saß nun hier und versuchte, etwas zu hören, ohne zu ahnen, was es sein könnte. Am Abend zuvor hatte er in der Domkirche gesessen, jetzt saß er hier, im Heidekraut und im Gras, ohne zu wissen, was passieren würde. Sollte eine fremde Person am Haus auftauchen, was würde er tun? Ja, er würde dreimal in die Luft schießen. Drei Schüsse. Und wenn es niemand hörte? Diese Möglichkeit hatten sie nicht bedacht. Man hielt es für höchst unwahrscheinlich, dass niemand die Schüsse hörte. Und der Pyromane würde zumindest erschrecken und die Beine in die Hand nehmen. So war der Plan. Doch all das hatte etwas Unwahrscheinliches an sich. Es war kühler geworden, er zog den Anorak enger um seinen Körper. Hin und wieder blickte er auf. Hatte er ein Geräusch gehört? Einen knackenden Zweig? Kam irgendjemand die Straße herunter? Nein. Nichts. Er schaute auf die Reste der Scheune. Es stieg kein Rauch mehr aus der Ruine, aber dafür hatten sich kleine Mücken- und Insektenschwärme versammelt, die fieberhaft über der feuchten Asche tanzten. Ab und zu fuhr ein Auto vorbei und bremste, wenn die Fahrer auf die Brandstätte starrten. Niemand sah ihn. Niemand wusste, dass er dort saß. Die Uhr zeigte elf, und längst gab es kein Licht mehr zum Lesen. Er musste die Augen anstrengen, um die Brandruine von dem dunklen Wald zu unterscheiden. Vorsichtig hob er das Gewehr und legte es sich mühsam zurecht.
    Zur gleichen Zeit legte Vater mich zu Hause in Kleveland ins Bett. Ich schlief tief nach dem langen heißen Tag; er blieb einen Augenblick stehen und sah in mein ruhiges Gesicht, auf die geschlossenen Augen und den kleinen Mund mit den leicht geöffneten Lippen. Dann schlich er hinaus und ließ die Tür einen Spalt offen stehen. Er unterhielt sich leise mit Mutter in der Küche, goss sich eine Tasse Kaffee ein, ging hinaus auf die Treppe, setzte sich mit der dampfenden Tasse und dem Gewehr von Großvater und lauschte in den Abend.
    Etwas später, als die sommerliche Dunkelheit sich durchgesetzt hatte, verließ Olav Vatneli sein Bett im Keller von Knut Karlsen. Einen Moment blieb er neben Johannas Bett stehen. Er hatte tief und traumlos geschlafen. Er wusste nicht genau, wie lange, aber er erinnerte sich, dass er im Schlaf geschrien hatte. Doch jetzt fühlte er sich merkwürdig klar und vollkommen ruhig. Als wäre er lange fort gewesen, in einer anderen Welt, als wäre er nun zurückgekommen und sähe alles mit einem neuen Blick. Er zog die Hose und eines der neuen Hemden an. Er nahm die glänzenden Schuhe, die beim Gehen noch immer steif und ungewohnt waren, zog den neuen Mantel über, setzte seine Schlägermütze auf und ging leise hinaus. Er wechselte ein paar Worte mit dem Polizeibeamten, der vor der Tür Wache hielt. Dann ging er die Senke hinunter zum Haus von Odd Syvertsen. Von dort konnte er die Reste des Hauses sehen. Er fühlte sich wie ein Fremder in seinen neuen Kleidern, wie einer, der lange fort gewesen ist, einer, den niemand kannte und der sich obendrein verlaufen hatte. Er hatte das Gefühl, sich verlaufen zu haben; zumindest konnte er sich nicht genau erinnern, wo das Haus stand, in dem er die letzten fünfunddreißig Jahre seines Lebens verbracht hatte. Leise und vorsichtig ging er näher heran, als würde in den Ruinen jemand schlafen, der auf keinen Fall geweckt werden durfte. Er kam zur Straße, steckte die Hände in die Taschen und überquerte sie langsam. Dann hielt er inne, blieb in vielleicht zwanzig Metern Entfernung lange stehen und schaute. Er hatte das Gefühl, als würde er nie genug bekommen. Er schaute. Er schaute. Er schaute. Er hatte ja gesagt, dass er sein abgebranntes Haus sehen wollte, und er wollte es sich allein ansehen, aber er hatte nicht gedacht, es in der Nacht zu tun. Nun stand er hier und fühlte nichts. Er war einfach leer und gleichzeitig merkwürdig klar. Er trat noch ein paar Schritte

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