Bevor ich verbrenne
Foto ein Postkartenmotiv war. Doch die Begeisterung legte sich. Ingemann sah es als Erster, die Person auf dem Bild konnte unmöglich Dag sein. Sie sah ihm überhaupt nicht ähnlich. Alma sah es auch, sagte aber nichts. Sie wischte sich die Hände am Geschirrtuch ab und steckte die Postkarte an den Rahmen des Küchenfensters, nachdem Ingemann in die Werkstatt gegangen war. Sie erwähnte die Karte nie wieder. Einige Tage blieb sie dort hängen, ohne dass sie darüber sprachen. Und eines Tages nahm Alma die Karte und stellte sie zu den Pokalen auf dem Regal über dem Klavier.
Bis in den März hinein hörten sie nichts mehr von Dag. Dann eine Karte, auf der stand, er käme nach Hause. Nichts weiter. Nicht einmal sein Name. Nur: Komme am 14. nach Hause. Er hatte unterschrieben mit Der Soldat . Ingemann meinte, er hätte wohl eine Dienstunterbrechung beantragt. Das war nichts Ungewöhnliches. Alma war nicht sicher. Diese Unterschrift. Das sah Dag überhaupt nicht ähnlich. Sie verstand es nicht. Sie wünschte, sie hätte eine Telefonnummer, aber es gab keine, das hatte Dag in einem seiner ersten Briefe mitgeteilt.
Am nächsten Tag, es war am Nachmittag, als sie abwusch, bemerkte Alma einen Mann auf der Straße nach Brandsvoll. Er kam ruhig und langsam auf das Haus zu, und sie hatte sofort das Gefühl, dass sie ihn kannte. Es dauerte einige Sekunden. Dann mit einem Mal:
Das ist ja er.
Plötzlich stand er zu Hause auf dem Hof, es war der Dreizehnte, also einen Tag vor seiner ursprünglich angekündigten Ankunft. Er trug Ausgangsuniform, das lange blonde Haar war verschwunden, man sah jetzt bis auf die nackte Kopfhaut.
»Bist du es?«, fragte sie.
Er blieb einfach stehen, die Märzsonne im Rücken, und lächelte. Sie ging langsam auf ihn zu, dann umarmte sie ihn.
»Du bist so lange fort gewesen«, sagte sie.
»Aber jetzt bin ich ja wieder zu Hause, Mama«, sagte er. »Ich werde nie wieder fortgehen.«
Er betonte es regelrecht. Es klang ein wenig seltsam, aber Alma dachte nicht weiter darüber nach, sie war einfach zu glücklich, ihn zu sehen. Glücklich, verwundert und ein wenig zurückhaltend.
»Wie geht es dir?«, erkundigte sie sich.
»Gut«, antwortete er.
»Sehr schön«, sagte sie. Eine Weile blieben sie einfach auf dem Hof stehen, während es vom Dach heruntertropfte. Sie hörten, wie die Tür zur Werkstatt aufging, dann stand Ingemann auf dem Hof.
»Bist du es?«, fragte auch er.
»Sieht so aus«, antwortete er.
Ingemann wischte sich die Hände an einem dreckigen Lappen ab, dann ging er auf seinen Sohn zu und gab ihm die Hand.
»Ich erkenne dich kaum wieder«, sagte er und lachte ein wenig bemüht. Alle drei blieben in der niedrigen Märzsonne stehen. Ihre Schatten waren lang und mager und streckten sich bis zum Haus. Sie redeten weder über die Postkarte noch über die Unterschrift oder weshalb er plötzlich nach Hause gekommen war.
»Ich muss jetzt schlafen«, erklärte er. Es überraschte sie nicht nach einer fast vierundzwanzigstündigen Reise.
Als sie am Abend zu Bett ging, lag Alma lange wach. Sie starrte an die Decke, während sie Ingemanns gleichmäßigen Atemzügen zuhörte. Sie lag einfach da und fühlte sich seltsam leer, als hätte sie den ganzen Tag unablässig geredet und nun wäre ihr kein einziges Wort mehr geblieben.
Auch am folgenden Tag erzählte er nichts. Er sei noch erschöpft von der Reise, sagte er. Er brauche Ruhe und Schlaf. In eisigem Schweigen aßen sie zu Abend, dann ging er in sein Zimmer und legte sich wieder ins Bett.
Er schlief bis weit in den Vormittag hinein. Es wurde April. Der Schnee schmolz, die Erde zeigte sich dunkel und nackt, durch den Wald rauschte ein sanfter Wind. Er blieb das gesamte Frühjahr zu Hause. Er gewöhnte sich an, morgens lange zu schlafen. Meist stand er nicht vor zwölf auf, und dann schaffte er es kaum, die Treppe hinunterzukommen. Alles schien ihm sehr schwer zu fallen, jeder Tag war plötzlich voller unüberwindbarer Hindernisse. Da schien es am besten, im Bett zu bleiben. Alma kommentierte es nicht. Stattdessen kochte sie Gerichte, von denen sie wusste, dass er sie mochte, trug sie in sein Zimmer und stellte den Teller wortlos auf den Nachttisch. Ihre Sorgen sammelten sich in einer deutlich sichtbaren Falte zwischen ihren Augen. Wie ein Riss.
Dann wurde es besser.
Nach einigen Wochen war beinahe alles so wie früher. Er lag nicht mehr den ganzen Vormittag im Bett. Er stand auf, duschte und schien so fröhlich wie lange nicht mehr zu
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