Bevor ich verbrenne
kälter. Eines Morgens liegt Raureif auf dem Gras. Das Wasser ist wie flüssiges Glas und spiegelt exakt den Himmel. An solchen Tagen höre ich auf zu schreiben. Ich stehe auf, gehe ans Fenster, lege die Hand aufs Glas und beuge mich meinem Gesicht entgegen. Keine Vögel zu sehen.
Einige Zeit nach dem Besuch bei Alfred rief ich Karin an. Karin kenne ich mein ganzes Leben. Ich kann mich noch aus der Bibliothek an sie erinnern. Zu ihr ging ich, um mir Bücher auszuleihen; sie saß hinter der Schranke und stempelte erst das Buch auf der hintersten Seite und dann die braune Karte, die sie behielt und in einen Karteikasten steckte. So war das. Zwei Stempel und ich durfte das Buch mit nach Hause nehmen. Als ich vier Jahre alt war, zog die Bibliothek in neue Räume. Ich kann mich noch an den Raum im ersten Stock des Herrenhauses erinnern, dort bin ich mal mit Vater gewesen. Doch seit 1982 ist die Bibliothek mitten in Lauvslandsmoen untergebracht, direkt an der Kreuzung, an der sich die Straße in vier Richtungen teilt: eine Straße nach Dynestøl, eine zweite in nördlicher Richtung zur Kirche, die dritte nach Brandsvoll und Kilen, und die letzte nach Westen, vorbei an unserem Haus in Kleveland. Abends bin ich mit dem Fahrrad zur Bibliothek gefahren und kam mit Büchern nach Hause, die nach der Fahrt eiskalt waren. Kam der Wind aus Nordost, konnte es passieren, dass die Tür zur Bibliothek aufgedrückt wurde. Es passierte häufig, wenn ich bei meinen Besuchen allein durch die Regale ging. Ich erinnere mich noch genau an dieses besondere Geräusch, wenn der Wind durch den Türspalt fuhr; es heulte und jammerte, ich vergesse es nie. Wenn es windig ist, denke ich an Bücher.
Karin war die Tochter von Teresa, die in der Kirche auf dem alten Harmonium spielte und 1945 zusammen mit dem erst achtzehnjährigen Bjarne Sløgedal am Vorabend des Heiligen Abend ein Weihnachtskonzert veranstaltet hatte. Ich fand das Programmheft, als ich in Lauvslandsmoen auf dem Dachboden der Schule saß, und fragte mich, was die beiden wohl dazu veranlasst hatte. Bestimmt hatten die Öfen kräftig angefeuert werden müssen, als sie Good King Wenceslas , Schumanns Abendlied und zum Schluss Charles Gounods Version des Ave Maria spielten; dann wickelten sich alle wieder in ihre Mäntel und gingen hinaus in den Winterabend.
Nun ja.
Teresa war die nächste Nachbarin von Alma und Ingemann gewesen. Sie wohnte fast innerhalb des magischen Zirkels. Nur die Straße und der kleine Fluss, der klar und ruhig durch die Felder floss, trennten die Grundstücke. Im Übrigen hatte Teresa auch mit meinem Leben etwas zu tun. Denn zu Teresa bin ich einen ganzen Winter gegangen, um Klavierspielen zu lernen. Sie muss damals an die achtzig Jahre alt gewesen sein. Sie stand mir im Rücken und folgte meinen Fingern, ich kann mich an ihren regelmäßigen Atem irgendwo hinter und über mir erinnern. Und an das leise Räuspern und eine gewisse Unruhe in ihrem Körper, wenn ich falsch spielte. Sie unterrichtete Kinder und Erwachsene aus der ganzen Gegend, alle, die ein Instrument erlernen wollten. Ihr ganzes Leben hatte sie unterrichtet. Ich saß auf dem hohen Hocker in der guten, warmen Stube, während sie hinter mir stand und noch die kleinste meiner Bewegungen verfolgte. Jeden Mittwoch ging ich mit eiskalten Fingern zu ihr und spielte die gleiche Passage aus Amazing Grace . Sie paukte es mit mir, bis es einigermaßen saß. Ich erinnere mich an keine andere Melodie mehr, aber Amazing Grace kann ich bis heute einigermaßen mühelos spielen. Ich weiß nicht, ob ich ein guter Schüler war, aber ich tat zumindest, was man mir sagte. Das habe ich eigentlich immer gemacht. Ich entsinne mich, dass sie mir erklärte, ich müsse meine Finger entspannen, die Finger müssten über den Tasten ruhen und nahezu von selbst laufen. Und ich tat, was sie sagte, ich ließ die Finger über den Tasten ruhen und versuchte, sie von selbst laufen zu lassen.
Ich besuchte Karin an einem Freitagnachmittag Ende September, und als ich in ihrem Wohnzimmer saß, hatte ich das Haus im Blick, in dem Alma, Dag und Ingemann gewohnt hatten. Inzwischen hatte man es braun gestrichen, in meiner Kindheit war es immer weiß gewesen. Sonst gab es keine wesentlichen Veränderungen, die Werkstatt gab es noch, und auf dem Hügel entdeckte ich zwischen den Bäumen die Garage, in der noch immer der Feuerwehrwagen stand.
Wir redeten über dies und das, bevor wir zu den Bränden kamen.
Wie sich herausstellte, hatte
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