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Bevor ich verbrenne

Bevor ich verbrenne

Titel: Bevor ich verbrenne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gaute Heivoll
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sein. Es hatte sich von allein erledigt. Eines Abends kam er in die Küche, als Alma einen Kuchen buk. Er schlich von hinten an sie heran und legte ihr vorsichtig die Hände auf die Augen. Sie war einen Moment überrascht, denn es war das erste Mal, dass er so etwas tat. Ein eigenartiges Gefühl, gleichzeitig aber auch schön.
    »Wer ist das?«, fragte sie im Scherz.
    Er antwortete nicht.
    »Ich weiß genau, wer das ist«, fuhr sie fort.
    Er antwortete auch weiterhin nicht.
    »Jetzt lass schon los«, sagte sie schließlich. Und dann lachte sie, während sie versuchte, sich zu befreien; sie lachte und lachte, und er hielt sie immer noch fest. Mit einem harten Griff, sie wand sich von einer Seite zur anderen. Und plötzlich ließ er los.
    Er war wieder er selbst geworden, der liebe, brave Junge, den sie so gut kannte. Sie lächelte und sagte: »Jetzt musst du dir aber auch dein Haar wieder wachsen lassen.«
    Die Wochen vergingen. Jeden Samstagvormittag schossen Dag und Ingemann auf die Scheibe, genau wie in alten Tagen, während sie in der Küche stand und Brot buk. Sie schossen jeder eine Serie von fünf Schüssen, dann standen sie auf und untersuchten den schwarzen Kreis. Dag ging voran, Ingemann kam mit den Händen in der Tasche hinterher; und wenn sie zurückkamen, aßen sie frisches Brot, das noch dampfte, wenn Alma es aufschnitt.
    Es wurde Hochsommer. Die Hitze kam. Vom Ende der Ebene her wogte die Hitze auf Breivoll zu. Dag wurde zwanzig. Die Schwalben kreisten hoch am Himmel. An den Abenden fuhr er mit dem Wagen zum Homevannet, um zu baden. Sie wusste nicht, dass er dort allein war. Dass er allein bis zu den Felsen schwamm, die rund dreißig Meter vom Badeplatz entfernt unter Wasser lagen.
    Sein Haar wuchs. Schon bald war die Kopfhaut nicht mehr zu sehen. Sie war froh, ihn zurück zu haben. Jedes Mal, wenn sie ihn sah, spürte sie es bis in den Bauch. Daran lag es nicht. Sie freute sich, sie lächelte sogar, und das hatte sie lange nicht mehr getan. Trotzdem dieser Riss zwischen ihren Augen. Er verschwand nicht.
    Den ganzen Sommer wohnte Dag in seinem Zimmer. Er hatte ein Radio und einen alten Plattenspieler, abends und in der Nacht tönte Musik aus dem ersten Stock. Er erzählte nichts über die Zeit an der russischen Grenze, nur einmal erwähnte er, dass er einen Wolf gesehen habe. Die ersten Tage hatte sie versucht, heiter zu erscheinen, und Ingemann und sie hatten Fragen gestellt und sich nach allem Möglichen erkundigt. Aber bei jeder Frage schienen sich seine Augen zu verdüstern, irgendetwas geschah mit seinem Gesicht, es erstarrte, und eine seltsame Stimmung breitete sich am Tisch aus. Seither geschah es immer seltener, dass einer von ihnen eine Frage stellte. Irgendwann hörten sie ganz auf damit, weder sie noch Ingemann wollten irgendetwas wissen. Am besten, man beließ alles beim Alten und machte weiter wie bisher. Dieses Gefühl hatten beide. Ihnen blieb lediglich die Geschichte von dem Wolf. Und die ging so:
    Es passierte, als er bei minus vierzig Grad nachts allein auf dem Wachturm saß. Plötzlich trottete das Tier über den Schnee, er verfolgte es mit dem Fernglas. Hin und wieder blieb der Wolf stehen und lauschte, dann lief er weiter. Der Schnee war harschig, der Mond schien, und das Tier hinterließ keinerlei Spuren. Dann überquerte es die Grenze.
    Das war die Geschichte von dem Wolf, sonst nichts.
    Im Laufe des Herbstes fing Dag an, die Musik ständig lauter aufzudrehen. Alma lag wach und hörte zu. Sie hatte den Eindruck, als würde sie ab und an seine Stimme hören, als würde er singen oder reden. Es gab lange Phasen, in denen es ganz ruhig blieb. Dann setzte die Musik plötzlich wie ein Donnerschlag ein, und sie meinte, jemanden lachen zu hören.
    Im Oktober begann Alma, als Putzfrau zu arbeiten, wie sie es auch früher schon getan hatte. Am liebsten bei den Nachbarn, bei Familien, die nicht so weit entfernt wohnten und die sie noch zu Fuß erreichen konnte. Sie fuhr nicht gern Fahrrad, sie wollte lieber laufen. Sie ging bis Omdal, bis Breivoll und bis Djupesland zu Fuß. Sie schrubbte die Diele und den Küchenboden im Bethaus von Brandsvoll, und sie putzte für Agnes und Anders Fjelsgård in dem großen weißen Haus gleich an der Straße nach Solås.
    Im Dezember fiel der erste Schnee. Eines Morgens war die ganze Welt sauber und weiß. Alma buk sieben Sorten Kekse, genau wie auch sonst immer, und Dag kam in die Küche und probierte, als sie noch warm waren. Vorsichtig erkundigte sie

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