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Bevor ich verbrenne

Bevor ich verbrenne

Titel: Bevor ich verbrenne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gaute Heivoll
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sich, was er unternehmen wollte, wenn Weihnachten vorüber wäre. Er antwortete, so weit voraus habe er noch nicht gedacht.
    »Aber irgendetwas musst du doch machen.«
    »Ja, sicher«, erwiderte er. »Ich find schon was.«
    »Du kannst doch studieren, du hast doch das Abitur.«
    »Ja«, antwortete er. »Wir werden sehen.«
    Es fand kein weiteres Gespräch über die Zukunft statt. Es wurde Weihnachten. Heiligabend gingen sie gemeinsam in die Kirche. Sie saßen unter ihren Nachbarn und Bekannten aus der Gemeinde, und alle hatten diesen besonderen Glanz in den Augen, den man ihnen sonst nicht ansah. Alfred und Else mit ihren Kindern, Agnes und Anders Fjelsgård, Syvert Mæsel, Olga Dynestøl und viele, viele andere. Alle waren versammelt, und Teresa saß an der Orgel und blickte kurz vor dem Ende von O du fröhliche in den kleinen Spiegel, mit dem sie den Altar im Auge behalten konnte. Mein Vater war auch in der Kirche. Er saß weit vorn neben Großmutter, Großvater und Mutter; in ihrem Bauch wuchs ein Kind, und das Kind war ich. Es war etwas ganz Besonderes, so herausgeputzt und feierlich zwischen all den guten Bekannten zu sitzen, und alle schienen sich von einer neuen und unbekannten Seite zu zeigen; es war schön und ein wenig ungewohnt, und Alma spürte, wie der Weihnachtsfrieden sich über sie senkte und sie beinahe Ruhe fand.
    Es wurde Neujahr. Man schrieb das Jahr 1978.
    Der Januar kam mit kurzen, steifgefrorenen Tagen. Dag vertrieb sich bei Ingemann in der Werkstatt die Zeit. Half, Ordnung zu schaffen, und räumte einen Haufen Schrott aus, der sich im Laufe des Herbstes angesammelt hatte. Er fegte den Boden, kehrte den Abfall zusammen und holte ein bisschen Diesel, den er darüber goss, um alles zu verbrennen. Dann gab es nichts mehr zu tun. Morgens blieb er wieder lange im Bett. Er kramte seine alten Comic-Hefte heraus. Micky Maus , Silberpfeil und Phantom . Am Abend war er mit dem Auto unterwegs. Ingemann hatte den Wagen billig erstanden und instand gesetzt, damit er für Dags achtzehnten Geburtstag bereitstand, im Sommer vor bald drei Jahren. Manchmal blieb er mehrere Stunden fort. Alma wusste nicht, wo er hinfuhr. Sie wachte in der Dunkelheit auf, ohne zu wissen, ob er bereits zu Hause war. Wie spät war es? Eins? Drei? Sechs? Starr und kalt blieb sie liegen und lauschte. Aber er kam doch immer wieder nach Hause. Nichts stieß ihm zu.
    Es wurde Februar. Der Schnee lag einen Meter hoch. Es kam zu Stromausfällen. Im März setzte sich mildes Wetter aus Südwest durch, die Bäume verloren ihre Last, es troff von den Dächern, die Straßen waren glitschig wie Seife. Dann schlug das Wetter um, der Wind kam aus Südost, und es wurde wieder richtig Winter. Drei Tage schneite es, und als es endlich aufhörte, folgten lange, milde Sonnentage, an denen die Welt stillzustehen schien. Es wurde allmählich Frühling. In den Wäldern knatterten die Motorsägen. Der Schnee fiel zusammen. Der April zeigte sich mit langen, hellen Tagen. Der ruhige Fluss brach auf. Das Eis verschwand, das Wasser glitzerte. Abends roch es nach frischer, feuchter Erde. Sein Haar war beinahe ebenso lang wie zur Zeit seiner Einberufung.
    Eines Abends, als er mit dem Auto aufbrechen wollte, erkundigte sich Alma, wohin er fahren wolle.
    »Raus«, antwortete er kurz angebunden.
    »Aber wohin denn?«
    »Hast du was dagegen?«, entgegnete er scharf, warf die Tür zu und ging. Sie ließ sich nichts anmerken, doch seine Worte vergaß sie nicht. Sie senkten sich leise in ihr, blieben liegen und schmerzten. In den milden Aprilnächten lag sie wach, während Ingemann neben ihr tief schlief. Hast du was dagegen? Hast du was dagegen? Sie hörte seine Stimme. Es war Dag, sicher war sie sich jedoch nicht. Der liebe, brave Dag. Sie meinte, ihn lachen zu hören. Sie nickte ein und wachte schlagartig wieder auf. Sie hatte geträumt, dass sie an seiner Wiege stand; er war ein Säugling, aber er lag nicht in der Wiege. Die Wiege war leer, schaukelte jedoch noch. Sie stand auf und schlich barfuß an seine Tür. Klopfte und öffnete. Er lag wach auf der Bettdecke, voll bekleidet, mit einem aufgeschlagenen Micky Maus -Heft auf dem Bauch. Im ersten Moment reagierte er erschrocken, als hätte er einige Sekunden gedacht, dass etwas Furchtbares geschehen sei. Dann beruhigte er sich. Und lächelte.
    »Mama«, flüsterte er, »bist du es?«

IV
    6 . Mai 1978. Die Flammen schlugen direkt an der Straße hoch, sie erfassten das Gras und das Heidekraut, dann breitete sich der

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