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Bevor ich verbrenne

Bevor ich verbrenne

Titel: Bevor ich verbrenne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gaute Heivoll
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war dunkel und ruhig. Nebel sammelte sich und hing über dem Boden wie luftige, ausgefranste Betttücher. Der Mond zeigte sich, stieg langsam über den Wald und ließ den Nebel glänzen, als wäre er voller ruhiger, innerer Lichter.
    Der Tag brach an. Um vier Uhr war es hell. Die Vögel sangen. Im Osten ging die Sonne über dem Wald auf. Der Morgen des 4 . Juni 1978 war angebrochen.

VI
    Aus Großmutters Tagebuch:
    4 . Juni
    Gautes Taufe. Warmes, schönes Wetter. Ich stand früh auf, nach dem Gottesdienst fuhr ich nach Dynestøl. Sah die Stelle, an der das Haus gestanden hatte. Eine merkwürdige Stimmung im Ort. Traf hinterher Knut. Er ist sicher, dass wir es mit einem Pyromanen zu tun haben. Einem Pyromanen? Hier?
    Der Gottesdienst begann um elf. Die Kirche füllte sich langsam. Die Leute betraten die kühle Vorhalle, suchten sich einen Platz in den Bankreihen, räusperten sich ein wenig, blätterten in den Gesangbüchern, schauten auf. Das Kirchenschiff erfüllte ein leises, summendes Flüstern. Man unterhielt sich über die Brände, über die letzten vier. Den in Skogen, die beiden Scheunen bei Moen und das Haus von Olga, man redete über den Trecker und die vier Explosionen, die in weiten Teilen der Gemeinde zu hören gewesen waren. Und über das Flammenmeer, das viele gesehen hatten. Es gab einige, die aufgewacht und vor die Tür gegangen waren, sie hatten es gesehen.
    Dann setzte die Orgel ein, an den Manualen saß Teresa.
    Meine gesamte Familie war in der Kirche: Großmutter und Großvater, Oma und Opa. Meine Eltern, mein Vater und meine Mutter. Alle saßen auf der linken Seite, direkt neben dem Küster, wo der Wind durch die zweihundert Jahre alten Holzbalken pfiff. Es war nicht kalt, doch obwohl draußen die Sonne schien, war die Kirche kühl wie immer. Ich lag im Arm meiner Mutter, als alle sangen. Sie sangen Sonne und Mond, Wasser und Wind . Mutter traute sich nicht mitzusingen, aus Angst, ich könnte aufwachen. Sie dachte an die Brände. In den letzten Nächten schlief sie schlecht; sie hatte in dem schmalen, von ihrem Vater gezimmerten Bett gelegen und überlegt, in welch eine wahnsinnige Welt sie ihr Kind geboren hatte. Auch jetzt dachte sie daran, als alle um sie herum sangen. Dann wurde das Wort des Herrn verlesen, und die Gemeinde erhob sich. Zu diesem Zeitpunkt war ich aufgewacht und ziemlich unruhig, Mutter steckte mir die Spitze ihres kleinen Fingers in den Mund. Ich beruhigte mich. Ich lutschte während der ganzen Predigt an ihrem Finger.
    Es wurde über den ersten Brief an die Korinther, Ver s 26 bis 31, gepredigt. Dann kam noch ein Lied, und die eigentliche Taufe konnte beginnen.
    Vater trug mich an das Taufbecken aus gehämmertem Messing, von dem niemand wusste, woher es stammte. Vermutlich hatte es in der alten Kirche gestanden, die gegen Ende des 18 . Jahrhunderts allmählich in dem weichen Lehmboden versank, bevor sie abgerissen und die Grundmauern ein Stück nach Süden versetzt wurden. Mutter löste den Knoten unter meinem Kinn und zog mir vorsichtig die Haube vom Kopf, dann hielt mich Vater über das Wasser, genau wie ich meinen Sohn an dieser Stelle dreißig Jahre später halten sollte. Der Pastor tröpfelte Wasser über meinen Kopf, er schlug das Kreuz und betete für mich und mein Leben, wobei seine Hand leicht auf meiner Stirn ruhte.
    Ich war ganz ruhig.
    Nach der Taufe brach die gesamte Gemeinde auf, um sich das abgebrannte Haus von Olga Dynestøl anzusehen. Es kam ihnen vollkommen normal vor. Ich lag in der Reisetasche auf der Rückbank des Autos und schlief.
    Von diesem Tag an begannen die Leute tatsächlich, zu den Brandstätten zu pilgern. Die Gerüchte verbreiteten sich und die Brandruinen wurden beinahe zu einer Attraktion. Die Menschen kamen von weit her, um sie sich anzusehen. An diesem Sonntag fuhr man direkt nach dem Gottesdienst und der Taufe dorthin. Es gehörte einfach dazu: erst der Gottesdienst, dann die Brandstätte. All die Menschen im Sonntagsstaat, die sich um den schwarzen Schornstein und den ausgebrannten Traktor versammelten, bildeten schon einen eigentümlichen Anblick. Sie standen eine Weile beieinander, unterhielten sich gedämpft und schüttelten ein wenig den Kopf, dann drehten sie sich nacheinander um und gingen zurück zu ihren Autos. Nun hatten sie es mit eigenen Augen gesehen und wussten, dass dies alles kein Traum war.
    Nach und nach fuhr die gesamte Taufgesellschaft nach Kleveland. Die Sonne stand hoch überm Haus. Es wurde gegessen und getrunken,

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