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Bevor ich verbrenne

Bevor ich verbrenne

Titel: Bevor ich verbrenne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gaute Heivoll
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und als das Mittagessen zur Hälfte vorüber war, schlug Vater mit der Gabel gegen sein Glas und erhob sich. Er hielt eine kurze Rede. Ich habe alle, die dabei gewesen sind und noch leben, gefragt, was er damals gesagt hat, aber niemand konnte sich mehr genau erinnern. Nur, dass es eine schöne Rede gewesen sei.
    Eine kurze, aber schöne Rede. Die einzige.
    Als die Schatten lang wurden und die Sonne langsam über die Höhenzüge im Westen zog, fuhren alle wieder heim. Es wurde Abend, und die Fliederbüsche standen schwer von Blüten und Duft in der Dämmerung. Kurz vor halb elf versank die Sonne glühend hinter den Kiefern des Skrefjellet, dann wurden die Bäume schwarz und zeichneten sich vor dem Himmel so deutlich ab, als wären sie darin eingebrannt.
    Meine Eltern saßen den ganzen Abend vor dem Fernseher. Ab und zu stand Vater auf und trat vor der Tür auf die Treppe, dort blieb er stehen und horchte eine Weile, bevor er wieder hereinkam, ohne ein Wort zu sagen. Sie sahen sich die Sportschau an, obwohl sie beide kein sonderlich großes Interesse an Sport hatten. Wenn überhaupt, dann Vater, aber ihn interessierte am ehesten Skispringen, doch an diesem Abend drehte sich alles um die Fußballweltmeisterschaft in Argentinien. Trotzdem blieben sie sitzen und unterhielten sich leise über die Taufe. Und über die Predigt des Pastors. Über all die Menschen, die Fahrt zur Brandstätte und über mich, wie ruhig ich gewesen sei, und dass alles so gut gegangen war.
    Lange starrten sie auf den flimmernden Schirm, dessen Ton ganz leise gestellt war. Wieder stand Vater auf, trat ans Fenster und blickte lange hinaus.
    »Siehst du etwas?«, fragte Mutter.
    »Nein«, antwortete er. »Nichts.«
    Dann trat er auf die Treppe und ging einmal rund ums Haus. Die Dämmerung hatte längst eingesetzt, und Tau hatte sich auf das Gras gelegt. Als er wieder hereinkam, schlug er ein paar Mal mit den Armen, um sich aufzuwärmen.
    Um zehn Uhr wurde ein Violinkonzert des Alberni-Quartetts gesendet. Gegen Mitternacht endete das Fernsehprogramm, und Mutter schaltete das Radio ein, um Nachrichten zu hören. Keine neuen Brände.
    Ich hatte bereits mehrere Stunden geschlafen, als Mutter zu Bett ging. Sie hoffte auf eine ruhige Nacht, da in der Nacht zuvor nichts passiert war und Pastor Omland erst vor wenigen Stunden für sie alle gebetet hatte. Ich schlief fest und ruhig in der tiefen Wiege. Vater blieb noch einen Moment auf. Hin und wieder trat er auf die Treppe und horchte. Dann legte er sich zu uns.
    »Heute Nacht brennt es nicht«, flüsterte er Mutter zu. »Es ist jetzt vorbei, ich spüre es. Es ist vorbei.«
    Er löschte das Licht und schlief auf der Stelle ein, während Mutter wach liegen blieb und dem gleichmäßigen Kinderatem zuhörte, der aus der Dunkelheit kam.
    Um halb eins wurden beide von einer Stimme geweckt.
    Jemand stand vor dem Fenster und flüsterte. Es war John. Vater zog sich sofort an und ging vor die Tür. Die beiden redeten ein paar Minuten auf dem Hof miteinander, dann kam Vater wieder herein und erklärte, dass er sofort los müsste. Es war wieder passiert. Zwei Wohnhäuser brannten in Vatneli, und noch wusste man nicht, ob sich noch Menschen darin befanden oder es weitere Brände gab. Der Pyromane hatte wieder zugeschlagen. Oder die Pyromanen. Die Situation geriet außer Kontrolle, alle Männer der Gemeinde mussten jetzt helfen. Man brauchte Leute, um Wache zu halten und die Straßen zu kontrollieren.
    Bevor er losfuhr, stand Mutter auf und schaltete alle Lampen im Haus an. Und sie prüfte, ob alle Türen verschlossen waren, bevor sie sich bei geöffneter Schlafzimmertür in die Küche setzte und den roten Rücklichtern hinterherblickte, als Vater losfuhr.
    Er fuhr durch die scharfe Kurve in Vollan und am Haus von Aasta vorbei. Unten in Lauvslandsmoen spiegelten sich die Scheinwerfer in den Fenstern des alten Schulgebäudes, das direkt an der Straße stand. Als er am Bordvannet vorbeikam, sah er den Schein der Häuser als lange, zitternde Säulen auf dem Wasser. Es war Licht bei Solås, es war Licht bei Knut Frigstad, und in Brandsvoll war der große Saal des Bethauses erleuchtet. Er sah die sechs blanken Glasschirme, die unter der Decke strahlten. Er konnte die Kanzel sehen, die schwer und massiv wirkte, aber dennoch leicht zur Seite geschoben werden konnte, und er warf einen kurzen Blick auf den Mann mit der Hacke. Auf dem Platz vor dem Bethaus hatten sich ziemlich viele Menschen versammelt. Sie standen in dunklen

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