Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Bevor ich verbrenne

Bevor ich verbrenne

Titel: Bevor ich verbrenne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gaute Heivoll
Vom Netzwerk:
dem Pfarrhof, der alten Sandgießerei und an der Schlachterei, in der schon lange nicht mehr geschlachtet wurde. Hallands Haus war vom Keller bis zum Dachboden erleuchtet, und vor der alten Telefonzentrale erahnte er zwei Gestalten auf der Treppe. Überall standen Leute, und trotzdem wirkte alles so ruhig und verlassen. Über dem Livannet hing Nebel, der durch die beiden Brände in Vatneli einen merkwürdig orangefarbenen Widerschein bekam. Das Feuermeer und dieses Licht waren das Letzte, was Vater sah, bevor es auf der Straße vor ihm einen Schlag tat.
    Er brachte den Wagen rechtzeitig zum Stehen und stieg aus. Er sah das umgestürzte Motorrad und das Auto, in das es hineingefahren war, aber keinen der beiden Jugendlichen. Sein Blick fiel auf den Polizeibeamten, der den ersten Wagen angehalten hatte. Er hielt noch immer ein rotweißes Stoppschild in der Hand. Die ersten Sekunden blieb alles ganz ruhig. Dann fing jemand an zu rufen und zu schreien. In dem Unfallwagen saßen mehrere Personen; die Türen gingen auf, sie kamen heraus, niemand von ihnen war verletzt. Die beiden Motorradfahrer waren in hohem Bogen über das Auto geschleudert wurden und lagen einige Meter voneinander entfernt, jeder auf einer Straßenseite. Einer leblos. Der andere war derjenige, der schrie. Vater lief zu dem Leblosen. Ging in die Knie, legte ihm einen Finger an den Hals. Das Herz schlug. Ein anderer Wagen kam aus Brandsvoll, die Scheinwerfer blendeten ihn. In dem hellen Licht bemerkte er etwas Graues, Zähflüssiges, das dem Jungen aus dem rechten Ohr lief. Danach wagte er es nicht, ihn anzufassen. Weitere Leute kamen hinzu. Der andere Junge beruhigte sich nach und nach. Ein junger Mann kam angerannt und hockte sich neben meinen Vater. Er trug ein dünnes, weißes Hemd, aber er schien nicht zu frieren. Er hatte blondes Haar und sprach die ganze Zeit leise auf den leblosen Jungen ein. Er bückte sich, ging auf die Knie und legte sein Ohr an dessen Brust, ergriff die schlaffe Hand und drückte sie. In dieser Stellung verharrte er lange, als würde er etwas in der Brust hören, das ihn hinderte, irgendetwas anderes zu unternehmen. Dann erhob er sich und ging zu dem Auto, mit dem das Motorrad kollidiert war. Der Fahrer stand deutlich unter Schock, denn er saß noch immer mit dem Kopf in den Händen hinterm Steuer. Der Mann im Hemd kniete sich neben ihn und redete leise mit ihm, als würde er ihm den Weg erklären. Nach einer Weile stand er wieder auf und ging zu dem verletzten anderen Jungen, blieb auch einen Moment bei ihm sitzen, bevor er sich wieder dem leblosen Burschen neben Vater zuwandte, der die ganze Zeit kontrollierte, ob er noch atmete. Ich erinnere mich, wie Vater erzählte, dass der Mann im Hemd ihm wie ein Engel vorgekommen sei; er wusste ja zu diesem Zeitpunkt nicht, wer der Mann war. Aber in den Minuten nach dem Unfall ging er herum und tröstete und half den Betroffenen. Er achtete darauf, dass der unter Schock stehende Fahrer nicht allein blieb, er achtete darauf, dass sich jemand um den verletzten Jungen kümmerte, und er kniete neben dem leblosen Jungen, der mit ausgestreckten Armen im Licht der Scheinwerfer auf der Fahrbahn lag. Er redete mit einer leisen, insistierenden Stimme auf den Jungen ein. Es war wie eine Art Unterhaltung, obwohl der Junge völlig stumm und regungslos auf dem Asphalt lag. Mein Junge. He, mein Junge , flüsterte er. Unklar, zu wem. Doch er flüsterte es wieder und wieder, während Vater daneben saß und zusah, auch er außerstande, irgendetwas zu tun. Er hatte das Gefühl, als würde ein großer stiller Raum um sie herum errichtet, es war unwirklich und erschreckend, als käme die flüsternde Stimme von irgendwoher, aus dem Nichts. So blieben sie sitzen, bis der Krankenwagen kam. Der Junge wurde versorgt, eine Maske wurde ihm aufs Gesicht gelegt, das Blaulicht zuckte über die Gesichter, der dunkle Raum löste sich auf, und der Engel im weißen Hemd verschwand.

VII
    Als letzte Tat habe ich meinen Vater schließlich belogen. Ich stand in seinem Zimmer im Pflegeheim und versprach, das Auto zurück nach Kleveland zu fahren, wo Mutter wartete. Sie wollte am späteren Abend ins Pflegeheim kommen und die Nacht bei ihm verbringen. Ich hatte versprochen, das Auto daheim unter die alte Esche zu stellen und das Verdeck über die Ladefläche zu ziehen, damit kein Laub hineinfiel. Aber ich habe es nicht getan. Ich setzte mich ans Steuer, drehte den Schlüssel um, fuhr vom Parkplatz und bog nach links statt

Weitere Kostenlose Bücher