Bevor ich verbrenne
Schuss. Die beiden Elche waren einfach weitergesprungen, und nun lag einer von ihnen hier. Es kam etwas hellrotes, beinahe rosafarbenes Blut aus den Nasenlöchern. Sonst war nichts zu sehen. Vorsichtig trat ich näher heran. Es hatte den Anschein, als läge das Tier da und folgte mir mit seinen großen, weit aufgerissenen Augen. Als wartete es darauf, dass ich näherkam, und wenn ich endlich da wäre, würde es sagen: Da bist du ja .
Vater wirkte ganz ruhig, als er endlich erschien, als hätte er so etwas schon oft erlebt, obwohl ich genau wusste, dass es seine erste Jagd war. Er kam mir mit dem Gewehr über der Schulter durch das braune Gras entgegen. Er näherte sich dem Elch wie ein echter Jäger, schoss es mir durch den Kopf, ging ganz nah heran, zog das Messer, blieb eine Weile stehen und betrachtete das Tier. Es war das blaue Mora-Messer mit dem Daumenschutz, das er wenige Tage zuvor bei Kaddeberg gekauft hatte. Ich hatte es aussuchen dürfen. Es gab die Wahl zwischen einem roten und einem blauen. Ich hatte mich für das blaue entschieden, aber ich hatte mir nicht vorgestellt, dass es dazu verwendet werden sollte. Vater zog es resolut aus der Scheide und stach zu; es drang tief in den weichen Hals, ohne dass der Elch reagierte.
Ich saß an der Bar und spürte das Zittern des Schiffes bis in die Fingerkuppen, ich sah das Messer vor mir, wie es in den Hals gestochen und wieder herausgezogen wurde. Der Klinge folgte ein Schwall dunkles, schäumendes Blut, das rasch versiegte und schließlich gerann. Ich sah alles vor mir. Das Messer. Das Blut. Das Messer. Das Blut. Nach einer Weile trank ich den vierten halben Liter aus, stand auf, bezahlte und verließ die Bar. Da einigermaßen raue See herrschte, nahm niemand Notiz von mir, obwohl ich ein wenig torkelte. Ich lief ziellos auf der Fähre umher. Ich erinnere mich an undeutliche Gesichter, die plätschernden Geräusche der Spielautomaten, das Gedränge in den Läden, die sanfte Stille in den Korridoren. Ich entsinne mich an den Geruch von Erbrochenem, Schnaps und Parfüm. Ich wusste nicht, wie lange wir uns schon auf dem Meer befanden oder wie weit es noch bis zum Land war. Schließlich fand ich mich in einer anderen Bar wieder, vielleicht war es auch eine Art Diskothek. Ich wusste nicht, wie spät es sein könnte, aber vermutlich war es bereits Nacht, denn durch eines der harten Plastikfenster hatte ich den Mond gesehen. Ich saß mit einem Drink an einem am Boden festgeschraubten Tisch, die Musik war ohrenbetäubend. Meine Gedanken glitten langsam und zäh dahin, als hätten sie ein von mir unabhängiges Eigenleben. Ich saß dort und war doch nicht da. Ich sah meine Hand nach dem Glas greifen, ich spürte meine Lippen an dem glatten Rand, und ich spürte die brennende Flüssigkeit in Mund und Hals. Hin und wieder sah ich Vater, dem der Puma von der Brust sprang, im Bett schweben, ich sah Mutter, die zu Hause saß und wartete, ich sah, wie sie vom Küchenstuhl aufstand, zum Fenster ging, dann zur Haustür, ich sah, wie sie die Tür öffnete, auf die Eingangstreppe trat und horchte.
Es gab noch eine Reihe anderer Gäste in dem Lokal, und ich hatte das Gefühl, als würden sie mich alle heimlich beobachten. Mir fällt nur ein, dass ich mein Glas austrank. Dann stand ich auf und zeigte auf den, der mir am nächsten saß.
»Was glotzt du denn so!«, brüllte ich, aber ich entsinne mich nicht mehr, was er antwortete oder ob er antwortete. Ich erinnere mich nur, dass ich als Nächstes mein Glas an der Tischkante zerschlug. Es war ganz einfach, dann hielt ich den Stumpf wie einen zerbrochenen Knochen in der Hand, und auf dem Tisch glitzerten winzige Glasscherben. Ich weiß noch, dass mehrere Leute aufstanden und die Hände abwehrend von sich streckten. Mir ist vage im Gedächtnis geblieben, dass die Aufmerksamkeit aller sich plötzlich auf mich richtete, in jedem Fall die Aufmerksamkeit derjenigen, die direkt neben mir standen und meinen Auftritt verfolgt hatten. Dann sammelte ich einen der kleinen Glassplitter auf, hielt ihn den anderen geradezu triumphierend hin und steckte ihn mir demonstrativ in den Mund, als handelte es sich um eine Tablette. Ich erinnere mich mit einer merkwürdigen Klarheit an das Gefühl, als der Glassplitter auf der Zunge lag und ich dachte, es könnte ebenso gut ein Stückchen Zucker sein, das sich mit den Zähnen zerkleinern ließe, oder es könnte einfach liegenbleiben und sich auflösen; und ich erinnere mich an das eiskalte und
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