Bevor ich verbrenne
Wohlbehagen von seinem Bauch bis in die Arme ausbreitete. Er hatte im Auto die Heizung angestellt und trommelte mit den Fingern aufs Lenkrad. In Argentinien spielte Johann Krankl jetzt den Ball. Das Spiel dauerte nur noch wenige Minuten. Krankl wechselte auf die rechte Seite, fand keine Mitspieler und lief allein auf den Sechzehnmeterraum zu. Das Brausen im Stadion schwoll an. Der Sender war undeutlich, er versuchte, ihn genauer einzustellen, doch dann fiel er ganz aus. Plötzlich war alles ruhig, ein weißes Rauschen, und in diesem Rauschen fuhr er ein Stück weiter. Er fühlte sich leicht, spürte das Blut an den Schläfen, in den Adern und an der Stirn. Er empfand keine Müdigkeit mehr, er fühlte sich einfach nur leicht. Leicht und merkwürdig aufgekratzt. Er bremste, wobei er ein Lied summte, das weder Anfang noch Ende hatte.
Er bog rechts ab, direkt unterhalb des Hauses von Anders Fjelsgård, hielt an und drehte an der Sendereinstellung, bis er eine neue und klarere Frequenz gefunden hatte. Krankl war an Müller und Rummenigge vorbeigedribbelt, dann stand ihm plötzlich das gesamte Feld offen, er schoss ein sauberes Tor und das Stadion explodierte.
Dag stieg aus dem Auto. Das Haus lag oben, auf einem Hügel direkt an der Straße, es war stockfinster. Die Fenster glänzten schwarz. Auf jeder Seite der Treppe standen zwei Bäume, dunkel vom dichten Laub. Ruhig stieg er zur Rückseite des Hauses auf, er wusste, dass der Haupteingang dort lag, und fasste vorsichtig auf die Klinke. Abgeschlossen. Er ging zurück zum Auto, stieg ein und wollte gerade den Zündschlüssel umdrehen, als er es sich anders überlegte. Ohne ein Geräusch zu verursachen, lief er zur Tür an der Vorderseite. Dort führte eine Treppe bis auf die Grasfläche, mit kleinen, in die Erde gehauenen Stufen. Er nahm die Steintreppe mit drei Schritten. Dann war er oben. Eine alte Tür mit acht eingelassenen Glasscheiben. Vorsichtig probierte er die Klinke. Abgeschlossen, auch diese Tür. Er lief zurück zum Wagen, holte den Kanister unter dem Kleiderhaufen hervor, und in nur wenigen Sekunden war er wieder oben an der Treppe, blieb stehen und horchte. Hier wie unten in Kilen lag Nebel über dem Boden, ruhig, weiß und rein. Er bemerkte die Sterne am Himmel, blass, fern, in einer anderen Welt. Dann schlug er eine Ecke der Kanne fest gegen die unterste Scheibe der Tür. Es war altes, sprödes Glas, das sofort zersprang. Er hielt den Atem an, das Blut hämmerte in seinen Ohren. Der Verschluss des Jerry-Kanisters hatte sich verklemmt, er musste sich anstrengen, um ihn aufzuschrauben. Er wartete noch einige Sekunden, dann fing er an. Überall war es ruhig. Kein Ruf aus dem Inneren des Hauses, keine hastigen Schritte. Nichts. Nur das Geräusch des fließenden Benzins. Er hatte ein merkwürdig taubes Gefühl in den Händen und Armen, als er den Rest des Kanisters in den dunklen Flur leerte.
Gleichzeitig versuchte Agnes Fjeldsgård im Haus ihren Mann zu wecken, der fest neben ihr schlief. Anders war damals siebenundsiebzig Jahre alt, ein ruhiger Fels von einem Mann. Sie musste ihn kräftig rütteln, bevor er ein Lebenszeichen von sich gab.
»Jetzt ist er da«, flüsterte sie in der Dunkelheit.
»Ach was«, murmelte er.
»Doch«, sagte Agnes. »Ich habe ihn vom Küchenfenster aus gesehen. Er ist draußen.«
Sie hatte keine Zeit zu verlieren, zog sich den Bademantel an und lief aus der Schlafkammer, durch die Küche ins Wohnzimmer.
Dort sah sie die schwarze Gestalt direkt vor dem Fenster der Verandatür. Der Mann stand seltsam vornübergebeugt, aber dennoch ganz still und ohne sich zu bewegen. Sie roch den eigentümlichen Geruch und hörte das ebenso eigentümliche Geräusch von Benzin, das über Glasscherben auf den Fußboden floss. Alles schien stillzustehen. Abgesehen von ihrem Herzen. Sie dachte nicht nach. Sie fürchtete sich nicht einmal. Sie blieb einfach wie regungslos stehen, genau wie Johanna Vatneli einige Stunden zuvor durch das Flammenmeer auf den Schatten auf der anderen Seite gestarrt hatte. Nur, dass es noch kein Flammenmeer gab, nur diesen Schatten. Einige Sekunden standen sie sich von Angesicht zu Angesicht gegenüber. Nur wenige Meter trennten sie. Dann endlich füllten sich ihre Lungen und sie schrie, und im gleichen Augenblick riss er das Streichholz an und hielt es in der Hand, und in dem plötzlichen Licht konnte sie etwas von seinem Gesicht erkennen: ein wenig vom Kinn, dem Mundwinkel, der Nase, dem Auge.
Er warf das Streichholz
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