Bevor ich verbrenne
nach rechts ab. Ich fuhr nach Kristiansand und nicht nach Finsland. Ich fuhr dorthin zurück, wo wir gerade herkamen: Auf der E 18 bei geringem Verkehrsaufkommen nach Osten, an der Brücke am Vesterveien bog ich rechts ab, direkt unterhalb des immerwährend glotzenden Bronzeriesen Krag, vor dem wir gerade noch gesessen und übers Meer gestarrt hatten, auch wir. Dann ging es in die Kurve hinunter zum Fährterminal; auf den nummerierten Fahrstreifen, die alle als Sackgassen im Meer endeten, hatten die Lastwagen und Wohnmobile ihre Plätze bereits eingenommen. Ich kaufte ein Ticket für die Überfahr t – für die Fähre, die in Kürze im Hafen erwartet wurde und um Viertel nach acht wieder auslaufen und all die Lastwagen und Wohnmobile hinüber nach Hirtshals in Nordjütland bringen sollte. Ich fuhr an Bord und folgte der Schlange von Autos, die sich langsam durch die klaffende Bugklappe schoben. Es gab Familien mit Kindern und überladenen Wagen und ältere Ehepaare, die still nebeneinander saßen, ohne sich zu rühren. Und dann gab es mich, einen Zwanzigjährigen allein in einem roten Pick-up, 1984er-Modell, dem altes Laub auf der Ladefläche klebte. Ich folgte der langsamen Schlange auf die Fähre, und zum ersten Mal in meinem Leben hatte ich das Gefühl, wirklich etwas zu tun . Ich unternahm etwas, das später irgendeine Bedeutung haben würde, ich saß hinter dem Lenkrad und spürte, dass meine augenblickliche Tat mich prägen würde, aber ich wusste nicht, auf welche Weise. Ich wurde weiter hinein ins Schiff gewinkt, musste eine Etage höher fahren und blieb schließlich hinter einem deutschen Wohnmobil stehen; ich trat hart auf die Bremse. Ich war an Bord einer Fähre nach Dänemark und wusste, ehrlich gesagt, nicht, was ich dort sollte oder wohin ich wollte. Nur, dass es übers Meer ging. Ich musste übers Meer. Ich hatte meinen Vater belogen, und Mutter saß daheim und wartete auf mich, während ich auf dem Weg über den Skagerrak war. Ich verschloss die Türen des Pick-up und verließ das Autodeck über schmale Treppen mit Teppichbelag. Auf dem Schiff befanden sich bereits einige Menschen, ältere Leute auf Butterfahrt und Jugendliche in Feierlaune; und alle liefen herum, als würden sie über etwas nachdenken. Auf dem obersten Deck fand ich eine Bar, bestellte sofort einen halben Liter, blieb dort mit dem eiskalten Glas sitzen und wartete, dass das Schiff ablegte. Ich spürte den Lärm der Motoren und ein schwaches Zittern, es fuhr durch den Stuhl, auf dem ich saß, und setzte sich bis in die Finger fort, die das Glas hielten. Ich starrte aus dem Fenster, ich sah, wie die Fähre sich endlich in Bewegung setzte, ich sah das von Kiefern eingefasste Ufer und die dunklen Felsformationen, die im Westen der Stadt vorüberglitten. Ich saß ganz ruhig an der Bar und trank das Glas leer. Dann bestellte ich ein neues, ganz ohne Scham oder Furcht, dass ein Bekannter mich sehen könnte, obwohl die Chancen auf einer dänischen Fähre, die aus Kristiansand auslief, doch größer waren als in einer versteckten Kneipe in Oslo. Ich saß allein an der Bar, und das Schiff hatte den Stadtfjord noch nicht verlassen. Ich dachte an Vaters Wagen, der irgendwo abgeschlossen unter mir stand, ich sah den Leuchtturm von Oksøy still an mir vorübergleiten, kurz danach begann das Schiff zu schaukeln, und ich wusste, dass uns nun die offene See erwartete.
Ich glaube, durch den Gedanken an sein Auto und den Alkohol, der mir langsam in die Blutbahn sickerte, erinnerte ich mich an den Herbsttag irgendwann in den Achtzigern, als ich mit Vater auf Jagd gehen sollte.
Der Tag stand glasklar vor mir, und so ist es noch immer.
Es war ein früher Morgen im Spätherbst, wir frühstückten allein an dem runden Tisch in der Küche. Nur er und ich, das mürrische Brodeln der Kaffeemaschine und das leise Zischen des Milchkessels. Nur er und ich und das Brotmesser, das sich durch die zehnte Scheibe Kneippbrot fraß, die fünfte Scheibe mit Cervelat, die vierte Lage Brotpapier und das dritte hartgekochte Ei. Nur er und ich, dieser fahle Herbstmorgen und der erste Frost im Gras unter dem Fenster.
Wir hatten jeder einen Rucksack mit integriertem Klappstuhl. Vater packte die Butterbrote und die beiden Thermosflaschen mit Kaffee und Kakao ein und legte ganz zum Schluss eine Tafel Schokolade obenauf, und zwar die dunkle Sorte mit dem Bild von dem Storch mit dem gesenkten Kopf, der auf einem Bein steht, als würde er schlafen oder weg sehen wollen. Dann
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