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Bevor ich verbrenne

Bevor ich verbrenne

Titel: Bevor ich verbrenne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gaute Heivoll
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gleichzeitig befriedigende Gefühl, als ich anfing, die Glasscherbe mit der Zunge herumzuschieben. Ich erinnere mich, wie ich neben mir stand und mich betrachtete. Ich erinnere mich, dass ich begriff und gleichzeitig auch wieder nicht begriff, was ich eigentlich tat. Ich erinnere mich an den Geschmack von Blut im Mund. Dass ich keine Schmerzen spürte, nur den klebrigen Geschmack von Blut. Ich erinnere mich, wie ich dachte: Wenn ich den Mund öffne, wird das Blut strömen. Aber ich öffnete den Mund nicht. Stattdessen drehte ich mich um und verließ mit unsicheren, aber raschen Schritten die Bar. Ich ging einen menschenleeren Korridor hinunter, noch immer mit der Glasscherbe im Mund. Ich stieg einige Treppen hinauf und traf einige andere Nachtschwärmer, ohne dass ich ihr Gesicht klar erkennen oder hören konnte, was sie sagten. Irgendwo, weit weg, dachte ich, nun kommen sie und holen dich. Jetzt kommen gleich ein paar Leute aus der Bar oder zwei Sicherheitsbeauftragte, die dich in Eisen legen, und dann wirst du den Rest der Fahrt in eine Kajüte gesperrt, unter der Wasserlinie. Aber es kam niemand. Ich war allein auf dem Schiff. Ich erreichte das oberste Deck, dort war es vollkommen ruhig, nur ein dumpfes gleichmäßiges Rumpeln, das Geräusch der Motoren tief unter mir. Ich blieb stehen, während die Welt verschwamm. Ich hatte das Gefühl, einen ganzen See voller Blut im Mund zu haben. Dann fand ich eine Tür, die hinaus auf Deck führte. Sie war schwer wie Blei. Ich erinnere mich, wie es durch den Türspalt heulte und der Wind gegen die Tür drückte, als würde er mit allen Kräften dagegen halten. Dennoch gelang es mir, sie zu öffnen. Ich trat aufs Deck, und die Nachtluft spülte wie Regen über mich hinweg. Ich taumelte unter den drei Rettungsbooten, die über mir in der Dunkelheit schaukelten, die Reling entlang. Ich war allein auf Deck. Es musste mitten in der Nacht sein. Ich sah mich nach dem Mond um, aber er war verschwunden, als wäre er im Meer versunken. Ich ging nach achtern, dort herrschte ein Fallwind, der den Rauch des Schornsteins in kurzen Stößen auf mich lenkte. Ich schloss die Augen, und da sah ich den toten Elch wieder vor mir, der im Gras lag und mich anstarrte, und ich erinnerte mich, was dann geschah. Vater und ich waren noch immer allein. Die anderen Jäger liefen bestimmt in unsere Richtung, sie mussten den Schuss gehört haben und wussten ungefähr, wo wir uns aufhielten, aber wir konnten nicht warten. Wir mussten den Elch so schnell wie möglich ausweiden. So viel wusste er. Zunächst stand ich nur daneben und sah zu, als Vater versuchte, den Elch auf den Rücken zu drehen. Das Tier war schlaff und schwer und fiel auf die andere Seite. Der Schädel war das Problem. Er glitt zur Seite und zog den Rest des Körpers mit sich. Jemand musste den Kopf halten. Ich kroch auf Knien heran, bis ich schließlich mit dem Elchschädel zwischen den Schenkeln dasaß. Aber es reichte noch nicht. Ich musste näher heran, um ihn noch besser halten zu können. Ich musste den ganzen Schädel anheben, ich hielt sein Gewicht in den Armen. Er war weit schwerer, als ich mir vorgestellt hatte, außerdem überraschte mich seine Wärme. Noch vor einigen Minuten hatte dieser Kopf aufmerksam irgendwo im Wald gehorcht, er hatte sich in den Wind gestellt und dabei die Ohren verdreht. Er hatte gehorcht und geäugt, und dann hatte er uns vielleicht bemerkt, aber da war es bereits zu spät. Im Moment des Knalls war die Kugel in den Körper gedrungen. Vater schien ein wenig unsicher zu sein. Er hielt das Mora-Messer in der Hand, die Klinge war nach dem Stich in den Hals dunkel vor Blut. Dann setzte er die Messerspitze am Bauch an, ganz unten, wo das Fell weich und die Elchhaare dünn und ganz hell waren. Er murmelte irgendetwas, während er das Messer vorsichtig hineindrückte und mit kurzen, ruckartigen Bewegungen hinaufschob. Das Fell teilte sich und ein grauweißer Sack presste sich durch die Öffnung. Ich hatte das Gefühl, in diesem Moment ein leichtes Zittern des Elchschädels zu spüren oder ein Aufleuchten des blassen Auges gesehen zu haben, doch mehr passierte nicht. Mit jedem Schnitt wurde der Sack größer, die Außenseite überzog ein feines Netz von Adern, dann waren die dunkelblauen verschlungenen Därme zu sehen, und schließlich quoll alles aus der Öffnung, dampfend und weich, wie Schaum, wie Seide. Ein beißend strenger Geruch schlug mir entgegen. Ich musste schlucken, konnte aber nicht. Ich wollte

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