Bevor ich verbrenne
meinen Blick abwenden, es gelang mir ebenfalls nicht. Ich saß da mit dem schlaffen schweren Schädel in den Armen und starrte auf das Messer, das langsam den Bauch aufschlitzte. Vater musste sich die Jacke ausziehen und die Hemdsärmel aufkrempeln, er griff nach dem Magensack und den Gedärmen und versuchte, alles aus dem Elchkörper herauszuziehen; ein gurgelndes Geräusch, wie ich es noch nie gehört hatte, und dann ein schwerer Seufzer, als irgendetwas abriss und der gesamte Bauchinhalt sich über den Waldboden und seine Stiefel ergoss. Ich weiß nicht, wie lange wir allein waren, aber wir waren fast fertig, als die anderen Jäger am Waldrand auftauchten. Dann erinnerte ich mich, wie das Herz herausgeschnitten wurde. Kasper tat es, denn er wusste genau, wo das Herz saß und wie man schneiden musste, um es in einem Stück herauszubekommen. Kasper musste sich auch die Jacke ausziehen und die Ärmel aufkrempeln, bevor er sich über den leeren Elch beugte. Vater saß währenddessen an einem Bach und wusch sich die Hände und Arme. Ich erinnere mich, dass ich sah, wie das Blut von dem kalten Moorwasser abgespült wurde, und dachte, es wäre sein Blut. Kasper musste tief in das aufgebrochene Tier greifen und machte sich bis zu den Ellenbogen blutig. Dann stand er plötzlich auf und hielt die Bleikugel in den Fingern, sie hatte sich wie eine Blume geöffnet. Schließlich hatte er das dunkle Herz in der Hand, er hielt es hoch, damit alle das perfekte Loch mittendurch sehen konnten.
Ich stand irgendwo mitten auf dem Skagerrak, lehnte mich über die Reling und starrte auf den undeutlichen Kühlwasserstreifen, der sich nach hinten in der Dunkelheit verlor. Der Wind zerrte in meinen Haaren, über mir wirbelte der Dieselrauch und unter mir schäumte und kochte die See. Ich öffnete den Mund, spuckte die Glasscherbe aus und spürte, wie mir das Blut von den Lippen rann. Lange stand ich so da, bis kein Blut mehr kam, bis es leer war, bis alles leer war. Dann kletterte ich auf die Reling, schloss die Augen, hielt mich fes t – und ließ los.
VIII
Es war halb drei in der Nacht auf Montag, den 5 . Juni 1978. Die Straße hatte man nach dem Unfall geräumt. Die beiden Jungen mit dem Motorrad wurden in zwei Krankenwagen nach Kristiansand transportiert. Der Zustand des einen wurde als ernst, aber stabil bezeichnet. Der andere hatte lediglich leichtere Verletzungen davongetragen. Er trug einen Helm. In Vatneli brannte es noch immer, das Haus von Olav und Johanna war nur noch ein qualmender Ruinenhaufen. Vater fuhr nach Hause. Nachdem er eine Weile mit dem Gewehr auf der Treppe gesessen hatte, ging er in die Wohnung; zunächst setzte er sich ins Wohnzimmer, doch als es zu dämmern begann, ging er schließlich zu Bett. Noch immer fuhren Autos die ganze Gegend ab, aber es wurden keine weiteren Brände entdeckt.
Ganz sicher war es bei den beiden Häusern in Vatneli geblieben. Zwei niedergebrannte Wohnhäuser. Ein Ehepaar, das alles verloren hatte, und außerdem ein schwerer Motorradunfall.
Das sollte doch genug sein?
Dag fuhr langsam an der Unfallstelle bei Fjelsgård vorbei in Richtung Brandsvoll. Die Narben über der Stirn klopften leicht, aber sie schmerzten nicht mehr, er umklammerte das Lenkrad mit beiden Fäusten. Dann drehte er das Radio auf. Eine Zusammenfassung des Spiels Österreich gegen Westdeutschland. An der Fjeldsgårdsletta wurde er herausgewinkt. Der Beamte leuchtete ihm ins Gesicht.
»Wer sind Sie?«
»Der Sohn des Brandmeisters«, antwortete er.
»Und wo wollen Sie hin?«
»Nach Hause.«
Der Beamte zögerte einen Moment, dann schaltete er seine Taschenlampe aus.
»Sie müssen Ihre Scheinwerfer reparieren«, sagte er. »Die leuchten ja in sämtliche Richtungen.«
Dann konnte er weiterfahren.
Es stand 2:2, als er am Herrenhaus in Brandsvoll vorbeifuhr. Er kam zur Kreuzung vor dem Laden, bog aber rechts ab nach Skinnsnes. Er fuhr nicht nach Hause, wie er behauptet hatte, sondern vorbei an der alten Arztpraxis, die in der Kurve gegenüber von Knut Frigstads Haus lag, nur zwei Zimmer gehabt hatte und so hellhörig war, dass sämtliche Patienten im Wartezimmer hörten, was sich im Behandlungsraum abspielte. Dort hatten Kåre Vatneli und Johanna gesessen, als Doktor Rosenvold damals in den Fünfzigern sein Bein untersuchte.
Auf dem Kamm des Hügels schaltete er die Scheinwerfer ab. Es spielte keine Rolle, er sah ebenso gut ohne Licht, es war ohnehin bereits hell. Er spürte, wie sich eine Art von kribbelndem
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