Bevor mir der Tod die Augen schließt (Ein-Linnea-Kirkegaard-Krimi) (German Edition)
erhalten haben. Aber immer noch keinen Lohn.«
Warwick nickte. Es war nicht sein erster Besuch in Somalia, aber er war jedes Mal von neuem über das Ausmaß des Chaos schockiert. Dies war kein Land, sondern eine humanitäre Katastrophe, die zum Dauerzustand geworden war. Überall in Mogadischu zeugten der Zerfall und die Einschusslöcher in den einst so stolzen Gebäuden der italienischen Kolonialzeit und den sozialistischen Prachtbauten aus den Jahren Mohamad Siad Barres von den vielen Bürgerkriegen. An manchen Orten hatte Warwick das Gefühl, er bewege sich durch eine vom Atomkrieg zerstörte Stadt. Etwa, wenn er mitten im Zentrum an verrosteten Autowracks vorbeikam oder an längst verlassenen Häusern am Wegesrand. Im Hamrawaine-Quartier, wo sie gerade gewesen waren, türmten sich auf den Straßen die Müllberge aus zwei Jahrzehnten und waren längst zu einer Mischung aus feuchter Erde und Plastik kompostiert, wo Kakteen und Gestrüpp wucherten, während sich das Abwasser seinen Weg zu den zerbombten Häusern bahnte, zwischen denen Ziegen und andere Haustiere herumkletterten, um nach etwas Essbarem zu suchen.
Ali Hassan hatte Warwick durch die verhältnismäßig sicheren Gegenden der Stadt geführt, damit er sich selbst ein Bild davon machen konnte, wo die drei Dänen getötet worden waren: im Sahafi Hotel International, wo sich die Mehrheit des internationalen Trupps aus Entwicklungshelfern und Journalisten aufhielt. Außerdem wurde ihm das Café gezeigt, in dem die Täter später gefasst worden waren. Es war eigentlich mehr ein Blechschuppen, in dem einige Männer hockten und Tee tranken und Khat kauten. Der Polizist hatte Warwick mitgeteilt, dass er, wenn nötig, den ganzen Tag zur Verfügung stünde. Das lag ausschließlich daran, dass Entwicklungshelfer aus dem Ausland in den Fall involviert waren, dessen war Warwick sich bewusst. Mogadischu konnte immer noch mit den Resten eines Polizeikorps prahlen, das inmitten all dieses Chaos allerdings kaum funktionierte. Zudem zählte ein Menschenleben hier nicht viel, und die Aufklärung von Morden hatte keine Priorität.
Jetzt waren sie wieder bei der Polizeiwache angekommen, wo Ali Hassan bemüht war, seine braune Uniform glattzustreichen, die er vermutlich seit zwanzig Jahren trug, denn so lange behauptete er schon, bei der Polizei zu sein.
»Ich möchte mit ihnen sprechen«, sagte Warwick. »Mit den Tätern.«
Er gab sich Mühe, seine Worte mit so vielen Höflichkeitsfloskeln wie möglich auszuschmücken, obwohl die eigentliche Botschaft natürlich unmissverständlich war.
»Das ist leider nicht möglich.«
Ali Hassan seufzte schwer, um sein tiefstes Bedauern zum Ausdruck zu bringen.
»Sie sind tot, bei einem Fluchtversuch erschossen worden. Sie wurden im Keller des Gefängnisses untergebracht, haben versucht auszubrechen.«
Er zuckte entschuldigend mit den Schultern, und Warwick nickte. Es klang wie eine faule Ausrede, aber andererseits musste man sich immer wieder daran erinnern, dass man in Somalia war. Hier galten andere Regeln. Selbst Warwick, der nur für kurze Zeit hier sein würde, konnte sich diesem Gefühl der Hoffnungslosigkeit nicht ganz verwehren, das die Menschen langsam auffraß, wenn sie in einer Gesellschaft lebten, die längst zusammengebrochen war.
»Und was ist aus der Beute des Raubzugs geworden?«
Jetzt warf Ali Hassan ihm einen entsetzten Blick zu.
»Wir haben kein Geld genommen. Sie hatten nichts bei sich, als wir sie verhaftet haben. Nichts als ihre Messer, von denen sie nicht mal das Blut abgewischt hatten.«
Warwick wandte sich ab. Das war natürlich gelogen. Die drei Täter waren nur wenige Stunden, nachdem sie die drei Dänen mit unzähligen Messerstichen getötet hatten, gefasst worden. Ihre Kleidung war noch immer blutbefleckt gewesen, und sie selbst waren schon so zugedröhnt, dass sie bei ihrer Verhaftung keinen Widerstand leisteten und ihre Tat auch nicht leugneten. So viel hatte Ali Hassan bereits erzählt. Als der Polizist zum Pinkeln nach draußen verschwunden war, hatte der Cafébesitzer Warwick allerdings berichtet, die drei Männer hätten mit Dollars nur so um sich geworfen. Und das sah man nicht gerade jeden Tag. Dieses Geld war nun verschwunden, also hatte die Polizei es natürlich selbst eingesteckt, und vermutlich war ein nicht unbeträchtlicher Teil davon direkt in Ali Hassans Taschen gewandert.
Die Korruption der Polizei war Warwick ziemlich egal – ganz im Gegensatz zu der Frage, wo die drei
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