Bevor mir der Tod die Augen schließt (Ein-Linnea-Kirkegaard-Krimi) (German Edition)
war rein gar nichts dabei herausgekommen. Ein Telefon, das nie benutzt wurde, vielleicht sogar entsorgt worden war. Es war nicht gerade schlau, sein Handy zu benutzen, wenn man von der Polizei gesucht wurde. Aber Kraus hatte scharfsinnig darauf hingewiesen, Anisas Verhalten würde doch gerade darauf hindeuten, dass sie sich nicht wie eine hartgesottene Kriminelle benahm.
Damit hatte er recht behalten. Thor hatte Martinsen vor einer knappen Stunde angerufen.
»Habt ihr sie gefunden?«, hatte Thor gefragt.
»Nicht direkt, aber vielleicht ja doch.«
Thor war zum Politigården gehetzt und hinauf zum Telecenter. Wie sich herausstellte, hatte nach zwei Tagen der Inaktivität wieder jemand Anisas Telefon benutzt, was ihnen aber kaum weiterhalf. Die Nummer gehörte nämlich einer Prepaid-Karte, die sich nicht zurückverfolgen ließ und die früher auch noch nie verwendet worden war, wie der Telefonanbieter nach einer Viertelstunde berichtet hatte. Außerdem war das Gespräch beendet worden, nachdem der Angerufene ein lakonisches »Sie haben sich verwählt« gebrummelt und aufgelegt hatte. Anisa hatte nichts gesagt.
Von Thor angetrieben, hatte das Gespräch Martinsen und seinen Kollegen jedoch die Chance gegeben, das Handy zu orten. Erst den nächsten Handymast und anschließend seinen genauen Standpunkt. Auf dem Satellitenfoto der Karte sah er aus wie ein Schuppen am Rande des Schrebergartengebiets Nokken auf der einen Seite des Schleusenlaufs, der südlichen Hafeneinfahrt vom Kalvebodløb. Auf der anderen Seite grenzte der Amager Fælled daran. Thor kannte das Gebiet sehr genau, wusste aber nicht, was Anisa in einer mehr oder weniger illegalen Gartenkolonie am Rande der Stadt zu suchen hatte. Oder vielleicht war es gerade das. Nokken war ein Gebiet, wo es niemanden kümmerte, wer gerade kam und ging. Es war ihr neues Versteck, und mit etwas Glück konnte Thor dorthin kommen, ohne dass Anisa ahnte, dass sie entdeckt worden war.
Er nahm die letzten Stufen der Treppe zur Mordkommission, eilte durch die Rotunde und bog in den Flur ein, wo er abrupt stehen blieb. Vor seinem Büro warteten zwei Männer. Einer davon war Ahlmark, den anderen kannte er nicht, aber es musste wohl ein Kollege aus der Personalabteilung sein. Thor überlegte eine Sekunde, einfach kehrtzumachen, aber sie hatten ihn schon entdeckt.
»Wir müssen miteinander reden«, erklärte Ahlmark.
Er ging auf Thor zu, der jedoch den Kopf schüttelte.
»Das müssen wir verschieben, ich muss eine Mörderin fassen. Das hat höchste Priorität.«
Ahlmark versperrte ihm den Weg ins Büro, und Thor war versucht, ihn einfach wegzuschubsen.
»Fragen Sie Ihre Sekretärin«, sagte der andere. »Wir haben eine Besprechung vereinbart. Und die findet jetzt statt. Anschließend können Sie rennen, wohin Sie wollen. Ihre oberste Priorität sollte Ihr Job sein, wenn Sie verstehen, was ich meine.«
Thor fixierte den Typen, dem man nicht ansah, ob es Ahlmarks Vorgesetzter war oder irgendein armer Paragraphenreiter, den die Aussicht beflügelte, etwas auszurichten, das fast wie normale Polizeiarbeit aussah. Dann blickte er wieder zu Ahlmark und nickte ihm mit einer Miene zu, von der er hoffte, dass sie angemessen ernst wirkte.
»Na gut«, erwiderte er schließlich. »Wenn Sie in meinem Büro warten, hole ich uns eben einen Kaffee.«
Thor wies einladend auf sein Büro, und die beiden Männer traten ein.
»Nebenan müsste es noch freie Stühle geben«, sagte er.
Er lächelte ihnen zu, blieb einen Moment stehen, während sie sich setzten, und ging anschließend ein paar Schritte den Gang hinunter, bis er außer Sicht- und Hörweite war. Dann sprintete er los.
*
Mogadischu, 18 . Januar 2011
Vier unendlich lange Tage hatten sie auf Neuigkeiten aus Kopenhagen gewartet. Ansgar hatte natürlich damit geprahlt, dass er genau den richtigen Mann kannte.
»Er kann diesen ganzen Dreck ans Tageslicht kehren«, hatte er gesagt. »Und denkt dran, dass das gleichzeitig auch unsere Lebensversicherung ist.«
Er hatte sie mit aufgerissenen, rot geäderten Augen angesehen.
»Denn dann sind wir nicht die Einzigen, die wissen, was vor sich geht.«
Martin hatte das etwas paranoid gefunden, aber nachdem Mikkel tatsächlich immer tiefer und tiefer in den Fall vorgedrungen war, hatte er seine Meinung allmählich geändert. Ansgars Sohn war geradezu davon besessen, so viel kompromittierendes Material wie möglich auszugraben, er untersuchte Speditionen und finanzielle Verhältnisse,
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