Bevor mir der Tod die Augen schließt (Ein-Linnea-Kirkegaard-Krimi) (German Edition)
hineingreifen konnte, um auch die Tür zu öffnen. Kurz darauf war er im Haus.
Sorgfältig prägte er sich die Räumlichkeiten ein: Das Wohnzimmer hatte eine offene Küche mit einem Kühlschrank von Smeg, einem Gasherd aus poliertem Stahl und einem Wandbackofen. Designermöbel von Børge Mogensen und Hans Wegner. Das geschmackvolle Zuhause eines gebildeten Menschen. Und noch immer kein Laut. Das Licht war vermutlich eingeschaltet worden, um eventuelle Einbrecher fernzuhalten.
Warwick konzentrierte sich zuerst auf das Wichtigste. Er sah sich im Wohnzimmer um und stellte fest, dass es kein Festnetztelefon gab. Stattdessen richtete er seine Aufmerksamkeit auf das Dreisitzer-Ledersofa, das schräg unter dem Panoramafenster stand. Er fuhr mit dem Finger über den Sofatisch mit den schwachen Glasabdrücken und stellte im Sofakissen eine Vertiefung fest. Hier saß sie also abends und entspannte sich bei einem Glas Wein, während sie auf die Wallanlagen hinausblickte. Und hier würde er auch die Ausrüstung platzieren. Er holte eine kleine Schachtel aus der Manteltasche und setzte sich auf das Sofa, um den idealen Platz zur Montage zu suchen. Dann stand er auf und probierte zwei unterschiedliche Positionen aus, bis er fünf Minuten später vollends zufrieden war. Es würde ein geschultes Auge erfordern, irgendetwas zu entdecken.
Nun blieb ihm immer noch Zeit, das Haus zu durchsuchen, und er begann im ersten Stock, in dem lediglich ein Schlafzimmer und eine Rumpelkammer lagen. Er suchte nach nichts Bestimmtem – sie war kaum so dumm, irgendwelche kompromittierenden Papiere zu Hause aufzubewahren –, sondern wollte sich vielmehr einen Eindruck von der Frau verschaffen, die hier wohnte. Das meiste wusste er bereits aus den Personenakten des PET . Aber im Grunde war der DGSE daran schuld, dass er sich für sie interessierte. Ein Telefonat aus dem Log des Kapitäns auf der Persephone hatte Warwick auf die Spur der französischen Waffenhändlerin Adèle de Clermont-Tonnere gebracht. Anschließend hatte er den französischen Auslandsnachrichtendienst kontaktiert, der seinem dänischen Kollegen bereitwillig alle Papiere zur Verfügung gestellt hatte. Nun ja, alle wohl kaum, aber sie enthielten immerhin Informationen über große Teile ihres Geschäftsimperiums, darunter eine Reihe von Transport- und Shippingfirmen in Afrika und Europa und nicht zuletzt auch ein paar dänische Verbindungen. Eine verwies auf einen älteren Fall, der in mehreren Notizen des PET und des Außenministeriums auftauchte, vermutlich jedoch zu alt war, um von Interesse zu sein. Ein anderer und viel neuerer Kontakt dagegen wirkte auf Anhieb vielversprechend. Warwick zog den Hut vor den Franzosen, die mit großer Effizienz den Weg des Geldes nachverfolgt hatten und Clermont-Tonneres Waffenhandel auf diese Weise bis ins Detail dokumentiert hatten. Darüber waren sie unter anderem auf den Namen der dänischen Anwältin Vibe Herzog gestoßen, die seit zehn Jahren in Christiania lebte und für die Franzosen weniger interessant war als für Warwick. Nicht als Person, sondern weil sie ihn zu den dänischen Hintermännern führen konnte, in deren Auftrag sie tätig war. Die Frage war nur, wie er sie zum Reden brachte.
Im nächsten Moment hörte er ein Geräusch. An der Haustür war jemand.
*
Thor warf einen kurzen Blick durch das Fenster des Verhörraums. Der Mann hatte ihnen den Rücken zugekehrt und wirkte selbst im Sitzen noch groß. Thor wandte sich Tage Ewald zu.
»Gib mir ein kurzes Briefing. Er ist der Geschäftsführer von Kintu – was weiter?«
Ewald nickte.
»Das sagt wiederum schon ziemlich viel über ihn aus. Die Organisation gibt es noch nicht sehr lange, und Gunnerus hat sie mitbegründet. Zusammen mit einigen Kollegen hatte er damals die Flüchtlingshilfe verlassen. Sie hatten das erklärte Ziel, die Entwicklungshilfe ›holistischer‹ anzugehen. Holistisch ist ihre eigene Wortwahl. Ihre Absichtserklärung hat in der Presse viel Aufsehen erregt: Es sei nicht genug, Almosen und Nothilfe zu verteilen. In Wirklichkeit gehe es darum, die Verhältnisse von Grund auf zu verbessern. Sie haben sich nach einem ugandischen Schöpfungsmythos benannt, in dem Kintu der erste Mensch auf der Welt ist und der Stammvater aller Menschen.«
»Also sind wir alle ein Volk?«
»Ja, das ist ihr Motto. Das kennst du ja schon. Gunnerus ist vierundfünfzig und studierter Politologe. Direkt im Anschluss an das Studium war er ein paar Jahre im Außenministerium
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