Bevor mir der Tod die Augen schließt (Ein-Linnea-Kirkegaard-Krimi) (German Edition)
Stress versetzen. Agent oder nicht, er ist auch nur ein Mensch, und Menschen, die unter Druck stehen, machen gern mal Fehler.«
48
L innea blieb stehen. Sie war unsicher, ob ihr die Phantasie vielleicht nur einen Streich spielte. Dann hob sie ihre Stimme.
»Ich möchte einfach nur gern mit dir reden.«
Auch diesmal kam keine Antwort, aber jetzt hatte sie sich entschieden und nahm die letzten Stufen, um bis ganz unter das Dach zu gelangen. Am Ende der Treppe blieb sie stehen. Ihr Instinkt sagte ihr, dass sie lieber abhauen sollte, aber sie knipste stattdessen die Taschenlampe an. Und dann hörte sie etwas.
Diesmal war sie überzeugt. Irgendjemand schlich dort drinnen umher. Sie suchte den Raum mit dem Lichtkegel ab, ohne etwas zu erkennen.
»Anisa?«, fragte sie noch einmal.
Sie hielt die Taschenlampe vor sich, und im selben Moment waren erneut hastige Schritte wahrzunehmen. Sie schaltete das Licht schnell wieder aus. Es musste tatsächlich Anisa sein, die sich hier versteckte. Jetzt herrschte erneut Stille. Kein Laut. Aber sie war sich sicher, dass sich die andere immer noch irgendwo dort drinnen aufhielt. In der Dunkelheit verborgen. Was auch immer sie getan hatte, sie brauchte Hilfe. Sie musste außer sich sein vor Angst. Wie ein gejagtes Tier, das sich in eine Ecke drückt, in der Hoffnung, von niemandem gesehen zu werden.
»Erinnerst du dich an mich?«, fragte Linnea versuchsweise.
Sie blieb am oberen Ende der Treppe stehen, unternahm keinen Versuch, näher zu kommen. Ließ die Taschenlampe ausgeschaltet, um die andere nicht noch mehr zu verschrecken.
»Wie wäre es, wenn du zu mir kommst? Ich kann dir helfen.«
Sie wusste, dass sie eigentlich die Polizei rufen müsste, anstatt zu versuchen, diese Sache allein in die Hand zu nehmen. Wenn die Frau eine Mörderin war, ließ sich nur schwer vorhersehen, auf welche Ideen sie kam. Aber dann wäre es schon zu spät, und sie könnte erneut flüchten.
»Ich weiß, wie es dir geht«, fuhr Linnea fort. »Ich weiß, wie es ist, wenn man Angst hat. Und wie es ist, um sein Leben zu laufen.«
Noch immer kam keine Antwort. Keine Geräusche. Aber es musste ein gutes Zeichen sein. Vielleicht erkannte Anisa ihre Stimme tatsächlich wieder und erinnerte sich an ihre Begegnung.
»Mir ist es egal, was du getan hast«, sagte Linnea. »Ich will nur helfen. Glaub mir, ich weiß, wie es ist, wenn man nichts mehr wagt. Keine Bewegung. Sich auf niemanden verlassen kann. Nicht länger weiß, was man tun soll.«
Linnea blieb reglos stehen. Dann streckte sie langsam eine Hand in die Dunkelheit. Sie konnte noch immer nichts sehen, aber jetzt hörte sie etwas. Eine Frau, die aufstand? Näher kam? Nach ihrer Hand griff?
Im selben Moment ertönte ein Klingeln. Infernalisch laut. Ihr Telefon.
»Scheiße auch«, murmelte Linnea.
In der nächsten Sekunde hatte sie das Telefon in der Hand, stellte es auf lautlos und steckte es wieder ein, aber es war bereits zu spät.
Etwas blitzte vor ihr in der Dunkelheit auf. Instinktiv schlug sie mit der Taschenlampe um sich. Traf nicht, spürte jedoch, wie etwas ihre Hand streifte. Fieberhaft fuchtelte sie weiter mit der Lampe in der Luft herum.
Linnea hörte ein unterdrücktes Stöhnen und schlug erneut um sich, wurde jedoch im nächsten Moment zurückgestoßen. Die Lampe fiel zu Boden, und Linnea taumelte rückwärts.
Sie griff nach hinten, um nicht mit dem Kopf gegen das Geländer zu schlagen. Stattdessen purzelte sie die halbe Treppe hinunter, kam jedoch schnell wieder auf die Beine, bereit, sich zu verteidigen.
Erst dann begriff sie, dass sie nicht attackiert wurde. Sie war lediglich geschubst worden. Von einer Person, die über sie hinwegsprang und weiter die Treppe hinunter flüchtete.
Sie hörte, wie die Tür zur Hintertreppe aufgestoßen wurde. Sie nahm sich zusammen, kam auf die Beine und stieg mit pochenden Kopfschmerzen die letzten Stufen der kurzen Treppe hinunter. Sie konnte nur an eins denken: War es ein Messer gewesen, das in der Dunkelheit aufgeblitzt hatte?
*
In Warwicks Haus im Horserødevej war niemand zu Hause. Kein Licht, keine Regung waren zu sehen. Thor und Kraus bemühten sich nicht sonderlich um Diskretion, aber selbst so früh am Nachmittag war die kleine Straße mit Autos vollgeparkt.
Im Widerstreit mit Langes direktem Befehl hatten Thor und Kraus konspirativ beschlossen, einige Stunden darauf zu verwenden, mehr über die drei in Somalia ermordeten Dänen herauszufinden. Insbesondere über die Todesumstände,
Weitere Kostenlose Bücher