Bewahre meinen Traum
sie dabei waren, sich ineinander zu verlieben. Er hatte diese Feststellung mit einer solchen Lockerheit geäußert, als würde er die Wettervorhersage tätigen. Sie war sich allerdings nicht so sicher. Sie wusste nur, dass sie von ihm besessen war – auch wenn sie es nie zugeben würde. Okay, doch. Sie gab es zu. Sie war besessen von dem Mann. Sie hatte so etwas wie mit ihm noch nie erlebt – was auch immer es war. Es war zu weit mehr als einem One-Night-Stand geworden. Sie verbrachten jede mögliche freie Minute miteinander. War es also ein Techtelmechtel? Nein. Ein Techtelmechtel war leichtherzig, lustig und frivol. Und endlich. Alles Dinge, die nicht so recht auf das passten, was sie mit Greg hatte.
„Affäre“ klang zu düster und dramatisch. Nina hatte keine „Affären“. Sie traf sich mit Männern und lebte dann ihr Leben weiter. Und genau das sollte sie jetzt auch tun, wo ihr Nest leer war. Sich verabreden und weiterziehen. Stattdessen sehnte sie sich nach Greg und wünschte sich, die Welt würde weggehen, damit sie mit ihm allein sein könnte.
Auf dem Rasen waren Stuhlreihen für die Gäste aufgestellt worden. In der Mitte führte ein Gang zu einem blumengeschmückten Bogen über einem Podium. „Ich bin froh, dass sie nicht diese ‚Gäste der Braut, Gäste des Bräutigams‘-Einteilung haben“, sagte Sonnet, während Max sie zu ihren Plätzen führte.
„Ich auch“, sagte Nina. „Ich fand die Tradition schon immer doof. Vor allem weil das unweigerlich einen der beiden beliebter als den anderen aussehen lässt.“
„Danke Max“, sagte Sonnet. „Du siehst heute super aus.“
Er wurde rot bis zu den Ohrenspitzen. „Bitte während der Zeremonie nicht sprechen.“
„Und ich werde auf der Feier nachher so was von mit dir tanzen“, fügte Sonnet hinzu.
„Wenn du Glück hast“, entgegnete er.
„Ich habe immer Glück.“
Nina schaute ihm nach, als er davoneilte, um weiteren Gästen zu helfen. „Du hast ihn rot werden lassen“, sagte sie.
„Er ist zwölf, Mom. Da wird man von allem rot. Daisy hat erzählt, dass du ihm diesen Sommer sehr geholfen hast. Das war nett von dir.“
„Es ist einfach, zu einem Kind wie Max nett zu sein.“ Sie versuchte, sich nicht zu offensichtlich umzuschauen. Vorne versammelte sich die Familie. Die Bellamys waren ein gut aussehender Haufen. Von Charles und Jane angefangen, dem ehrwürdigen Patriarchen mit seiner Frau, bis zu Max, dem jüngsten Enkelsohn, der bereits erste Anzeichen zeigte, auch zu einem Herzensbrecher heranzuwachsen. Dennoch waren sie genauso nur Menschen wie alle anderen, wie an den gedämpft wirkenden Eltern der Braut zu sehen war. Philip Bellamy war seit vielen Jahren von Pamela Lightsey geschieden, doch für den heutigen Tag trugen sie eine vereinte und liebende Einheit zur Schau. Nina wusste, dass die Harmonie zwischen ihnen hart erkämpft worden war. Mit der fehlgeleiteten Verzweiflung von Menschen, die alles tun würden, um ihre Tochter glücklich zu sehen, hatten die Eltern von Pamela vor Jahrzehnten massiv eingegriffen, um die Hochzeit zwischen ihr und Philip herbeizuführen. Wie jeder hätte voraussehen können, hatte die Ehe nicht gehalten. Aber die Konsequenzen der Einmischung durch die Lightseys dafür umso mehr. Dank ihnen hatte Philip nichts von Jennys Existenz gewusst. Nur durch einen Zufall hatte er letzten Sommer von ihr erfahren. Es ist erstaunlich, dachte Nina, was Menschen tun, um das Leben ihrer Kinder zu manipulieren.
Das vielleicht traurigste Opfer der ganzen Angelegenheit war Pamela selber, die Mutter der Braut. Sie hatte nie wieder geheiratet. Jenny zufolge lebte sie ein ziemlich einsames Leben in ihrem luxuriösen Apartment in der Fifth Avenue, besuchte nachmittägliche Spendenveranstaltungen, saß in verschiedenen Komitees und sammelte Kunst. Heute sah sie allerdings sehr stolz aus, wie sie mit dem Rest der Gäste auf die Braut wartete. Ihre Eltern waren nicht da. Ebenfalls Jenny zufolge war Mr Lightsey im Krankenhaus, und sie hatten ein aufwendiges Teeservice von Tiffany als Hochzeitsgeschenk geschickt.
Nina spürte eine leichte Veränderung in der Luft, und als sie ihren Kopf drehte, sah sie Greg. Ihr Herz schlug einen Purzelbaum, und sie versuchte, ihn nicht anzustarren, aber in seinem Smoking sah er einfach zu gut aus. Wie ein wahrgewordener Traum. Sie versuchte, seinen Blick aufzufangen, aber er schien sehr ernst und abgelenkt. Kurz dachte sie, er hätte sie angeschaut, aber dann glitt sein Blick gleich
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