Bewahre meinen Traum
weiter.
Sie nahm an, dass der Grund für seine Nervosität auf der anderen Seite des Ganges und relativ weit hinten saß – Sophie, seine Exfrau. Sie war auf eine kühle Art sehr schön in ihrem ärmellosen Leinenkleid und mit den offenen Schuhen. Sophie Bellamy sah aus wie die klassische Statur einer Göttin, nur besser angezogen. Nina wusste, wenn sie sich nur ein bisschen für Mode interessieren würde, würde sie den Designer des Kleides vermutlich kennen. Nina hatte achtgegeben, Sonnet nicht zu sehr über Sophie auszufragen. Doch jetzt fiel dem Mädchen Ninas prüfender Blick auf. „Ich wusste, dass du neugierig bist“, sagte sie. „Sie ist wirklich klug und hat diesen unglaublichen Job. Du weißt, wie manche Kinder so tun, als hätten ihre Eltern diese großen, wichtigen Jobs, als wenn sie die Menschheit retten würden? Nun, Sophie tut es wirklich.“
„Das habe ich gehört.“ Nina hatte angenommen, dass sie Sophie nicht würde leiden können. Immerhin hatte sie einen Ehemann und zwei verletzte Kinder zurückgelassen, um nach Europa abzudüsen, oder? Jetzt sah Nina sich allerdings gezwungen, in Erwägung zu ziehen, dass die Situation eventuell etwas komplizierter war.
Sonnet beugte sich zu ihr und sagte: „Mach dir keine Sorgen. Die Leute sind auch von dir beeindruckt. Seitdem ich zurückgekommen bin, höre ich nichts anderes, als welche unglaublichen Wunder du am Inn am Willow Lake bewirkt hast.“
„Ich rette keine Menschenleben. Nur ihre Wochenenden – wenn ich Glück hab. Falls jemand von mir beeindruckt ist, dann nur wegen meiner unglaublichen Tochter.“ Nina drückte ihre Hand. Sonnet war aus Europa noch geschliffener und klüger zurückgekommen, als sie es sowieso schon war. Dennoch hatte sie das großäugige Staunen über die Welt und ihr weiches Herz nicht verloren. Gemeinsam mit ihr hier zu sitzen und auf den Beginn der Trauung zu warten, zeigte Nina ganz deutlich, was sie verlieren würde, wenn Sonnet für immer auszog. Niemand auf der Welt hatte die gleiche Liebe und den gleichen Respekt für Nina wie sie.
„Ich freue mich für dich, Mom. Das weißt du, oder?“, flüsterte Sonnet. „Ich bin froh, dass Greg und du …“
„Dass Greg und ich was?“ Nina war alarmiert. Sie hatte Sonnet gegenüber nichts gesagt. Sie und Greg hatten sich seit ihrer Rückkehr auch kaum gesehen.
„Ich finde ihn toll, Mom.“
Das fünfköpfige Streichorchester beendete seine sanfte Darbietung von Pachelbels Kanon. In der folgenden Stille verebbten auch alle Gespräche. Die Menschen rutschten auf ihren Stühlen umher und räusperten sich noch einmal. Dann setzten die Musiker ihre Instrumente wieder an, und der Hochzeitsmarsch erklang. Köpfe drehten sich zum Gang, als der Hochzeitszug Einzug hielt. Nina erblickte Jenny am Arm vom Bruder des Bräutigams, Julian, und Tränen stiegen ihr in die Augen. Jenny sah so ätherisch und zauberhaft aus in ihrem Kleid und mit den violetten Freesien im Haar. Dazu trug sie ein Bukett aus weißen Rosen. Nina schossen Bilder aus ihrer gemeinsamen Kindheit durch den Kopf – die gegenseitigen Übernachtungen, die Kicheranfälle, die ernsten Pläne, die sie für ihre eigene Hochzeit geschmiedet hatten. Wie anders alles für sie beide gekommen war. Nina merkte, dass die Tränen ein Ausdruck ihrer jetzigen Gefühle waren, dessen, was sie zu Greg so gerne sagen würde, für ihre Hoffnungen und ihr Bedauern.
Olivia sah zugleich verletzlich und wunderschön aus. Connor gab einen umwerfenden Bräutigam ab – groß und beeindruckend, beinahe einschüchternd gut aussehend, bis er lächelte. Dann strahlte er nur so vor Glück, und das verwandelte ihn in den Mann, den Nina kannte – ein großartiger Kerl, der ein einsames Leben geführt hatte, bis er Olivia traf. Die beiden passten so gut zueinander. Selbst ein flüchtiger Beobachter konnte die Liebe in ihren Augen sehen und in ihren Stimmen hören, als sie ihre Gelübde sprachen.
Bei ihnen sah die Liebe so leicht aus. Nina wusste, dass es so nicht gewesen war – das war es nie –, aber jetzt waren sie das Sinnbild für Hoffnung und Zuversicht. Sie fragte sich, was die Zukunft für die beiden bereithielt. Ja, sie beteten einander jetzt an. Aber wessen bedurfte es, damit es so blieb? Was brauchte ein Paar, um verliebt zu bleiben? Sie dachte an ihre eigenen Eltern. Oberflächlich betrachtet sah es so aus, als wäre Pop der Träumer und Ma die Realistin. Nun fragte sie sich jedoch, ob nicht auch ihre Ma Träume hatte, von
Weitere Kostenlose Bücher