Bewahre meinen Traum
Unschuld. „Was meinst du mit ‚Rekord‘?“
Während der Jahre, in denen sie Sonnet aufgezogen hatte, hatte Nina sich kaum verabredet. Jetzt versuchte sie es, wagte sich zum ersten Mal in ihrem Leben auf das rutschige Parkett der Verabredungen. Einige der Männer kannte sie schon seit Jahren. Bei Noah Shepherd war sie diejenige gewesen, die ihn gefragt hatte. Er sah so gut aus. Aber bisher war die einzige Chemie, die sie verspürt hatte, das flüchtige Aufflackern von Gregs Schwarzpulver. Irgendwas an diesem Bild stimmte ganz und gar nicht. Zu ihrem Entsetzen verschluckte Nina sich beinahe an dem dicken Kloß in ihrem Hals. In der Hoffnung, dass er es nicht bemerkte, drehte sie sich auf dem Absatz um und marschierte hinunter zum Bootshaus. Sie ging jedoch nicht nach Hause. Dazu war sie zu unruhig. Sie steuerte auf den Steg zu und wanderte auf seinen glatten Planken hin und her.
Greg folgte ihr eine Minute später. „Leider funktioniert keine von ihnen mehr.“
Das war vermutlich auch gut so. Sie war nicht in der richtigen Stimmung, um sich in der Nähe von Handfeuerwaffen aufzuhalten. Sie atmete tief ein und zwang ihren Ärger, ihre Tränen zu vertreiben. „Du machst das absichtlich“, warf sie ihm vor und funkelte ihn böse an.
Der Mond stand hinter ihm am Himmel und bildete einen silbrigen Heiligenschein um seinen Kopf. „Was tue ich absichtlich?“
„Als wenn du das nicht wüsstest. Du bist nicht mein Aufpasser. Ich brauche niemanden, der auf mich wartet, wenn ich ausgehe.“
„Ich warte nicht auf dich“, sagte er. „Ich bin einfach nur … noch auf.“
„Und zufällig musst du immer in dem Moment Waffen reinigen oder Messer schärfen oder irgendwas schweißen, wenn ich mit meiner Verabredung nach Hause komme.“
Er lachte unterdrückt. „Das ist genauestens geplant.“
Sein Geständnis verwirrte sie. Sie hatte sich darauf vorbereitet, mit ihm zu streiten. „Genau geplant“, wiederholte sie. „Du meinst, du gibst dich absichtlich abschreckend?“
„Zum Teufel, ja.“
„Das versteh ich nicht.“
Er überwand die Distanz zwischen ihnen, legte seine Hände um ihre Oberarme und zog sie gegen sich. Die plötzliche Bewegung raubte ihr den Atem, und sie schaute ihn mit aufgerissenen, fragenden Augen an.
Eine verrückte Sehnsucht erfüllte sie, und sie dachte an all die Male in ihrem Leben zurück, an denen sie sich genau das hier gewünscht hatte – in Greg Bellamys Armen zu sein. Es folgte ein kleiner Schock der Erkenntnis, dann küsste er sie, und das war etwas, das sie sich auch vorgestellt hatte, auch wenn die Realität mit ihren Träumen nichts gemeinsam hatte. Es war so viel besser, dass ihr ganz schwindelig wurde. Sie hatte das Gefühl, an einen ganz anderen, weit entfernten Ort zu schweben. Seine Berührung war nicht sonderlich vorsichtig, und doch hatte sie sich noch nie so geschätzt gefühlt. Sein Kuss war beinahe grob, getrieben von Dringlichkeit, Leidenschaft – und doch war kein Kuss vorher je so aufregend gewesen. Er ließ sie alle anderen Küsse mit anderen Männern auf der Stelle vergessen.
So etwas war ihr noch nie passiert. Noch nie hatte sich die Umarmung eines Mannes so angefühlt, als hätte sie endlich das fehlende Puzzleteil gefunden. Zu schnell war es vorbei, und er ließ sie los, trat so schnell einen Schritt zurück, dass sie sich fragte, ob dieser erstaunliche Kuss überhaupt wirklich stattgefunden hatte.
„Du bist eine kluge Frau, Nina“, sagte er und ging zurück zum Weg. „Du findest es noch heraus.“
Ein paar Sekunden war sie sprachlos. Dann fand sie endlich ihre Stimme wieder und eilte ihm nach. „Nur eine Minute“, sagte sie. „Du kannst nicht so was machen und dann einfach weggehen.“
„Da hast du recht“, stimmte er zu, ohne seinen Schritt auch nur ein bisschen zu verlangsamen. „Ich könnte dich wie ein Höhlenmensch über meine Schulter werfen, nach oben tragen und mich über dich hermachen.“
Was im Moment in ihren Ohren gar nicht mal so schlecht klang. Zittrig sagte sie jedoch: „Wie ungemein politisch korrekt von dir.“
„Du glaubst, mich interessiert es, politisch korrekt zu sein?“ Er schien keine Antwort zu erwartet, sondern stieß nur ein wütendes Lachen aus und ging weiter.
„Ich weiß nicht, was dich interessiert, Greg“, meinte sie. „Du denkst vielleicht, ich kann Gedanken lesen, aber das kann ich nicht. Und deine schon gar nicht.“ Sie war wütend vor … was? Ärger? Unerfüllter Sehnsucht? Sie könnte mit dem
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