Bewegt Euch
einen ehrlichen Coach gefunden hat und eine Trainingsgruppe dazu, die auf respektvollem Miteinander gebaut ist. Die Suche dauert, aber sie lohnt sich.
Überhört die Signale
Die Sache mit der Duracell-Batterie funktioniert eben nur in der Werbung.
Jan Frodeno, Triathlon-Olympiasieger 2008
Jeden Donnerstag gegen 20 Uhr laufen wir durch den Tiergarten, berufstätige Menschen mittleren Alters mit mittelgroßen sportlichen Ambitionen, die sich freuen, wenn sie vor dem abendlichen Glas Rotwein eine halbwegs anspruchsvolle Trainingseinheit absolviert haben, so etwa elf Kilometer in 75 Minuten.
Star der Runde ist Charlotte. Frei von Familie besitzt die Frau ein beneidenswertes Kapital: Zeit. Und wie jeder Mensch in der Blüte seiner Jahre will sie sich und uns und dem Rest der Welt beweisen, was in ihr steckt. Im Winter hat sie gewagt, was uns alle sprachlos machte. Sie hat sich zum Ironman in Roth angemeldet, jenem Ort im Fränkischen, wo der deutsche Triathlon geboren wurde.
Charlotte ist eine große Frau, nicht übergewichtig, aber eigentlich ungeeignet für einen Ausdauer-Dreikampf, bei dem sich vor allem Gräten und Flöhe messen. Die Schnellen sind 20 Zentimeter kleiner und tragen 20 Kilogramm weniger Körpergewicht über 3,8 Kilometer Schwimmen, 180 Kilometer Rad und 42 Kilometer Marathon.
Eine Mischung aus Neid und Bewunderung wütete in mir. Eines Tages wollte ich diesen Wettbewerb auch mal versuchen. Aber erst, wenn die Kinder aus dem Haus sein würden. »Ironman auf Hawaii zum 60. Geburtstag« – so stand es auf der Liste jener Dinge, die ich vor der Inkontinenz noch erledigt haben wollte. Ausgerechnet Charlotte würde schon in diesem Jahr im T-Shirt des Finishers herumstolzieren.
An diesem Donnerstagabend war Charlotte ungewöhnlich kleinlaut. Sie hatte alle klassischen Fehler begangen: Charlotte taumelte im Machbarkeits-Wahn, sie steckte in der Performance-Falle und war ihrem Trainer hörig. Aber sie nahm die Last tapfer an und schrubbte sich bemerkenswert gut gelaunt durch zwanzig Trainingsstunden in der Woche. Manchmal waren es auch dreißig.
An diesem Abend allerdings klagte Charlotte. Unter den Augen trug sie Ringe wie Autoreifen. Unruhiger Schlaf, mangelnde Schaffenskraft und dann noch die Trainiererei. Tränen. »Ich weiß nicht, wie ich morgen früh zweieinhalb Stunden Rad schaffen soll.«
Ich kannte diesen Zustand gut. Chronische Müdigkeit, aber nicht einschlafen können. Freudlos trainieren und jeden Meter als Qual empfinden. Permanenter Zeitdruck, null Erholung. Und bei jeder Gelegenheit heulen oder die Familie anblaffen.
Klare Sache: Übertraining.
Klingt bescheuert bei einem Freizeitsportler, kommt aber häufiger vor, als man denkt. Der Burn-out, den der Dauergestresste sich zwischen Schreibtisch und Smartphone holt, der lauert auch in der Freizeit. Man muss nur die Verhaltensweisen aus dem Büro mitnehmen. Bewegen ist eben auch Stress, der den Körper überfordern kann, und Kopf und Seele dazu.
Zweimal habe ich erfahren, wie tief das Tal einer Sport-Depression sein kann, zum Glück nur in ersten Ansätzen. Das Problem: Der Patient merkt zunächst nicht, was los ist. Sinkende Leistungsfähigkeit interpretiert der übende Mensch ja vor allem als mangelndes Training. Also wird Erschöpfung mit noch mehr erschöpfenden Einheiten bekämpft. Die Spirale dreht sich abwärts.
Spitzenathleten haben den Vorteil, dass ihr ganzes Leben auf Bewegung ausgerichtet ist. Da sie ständig überwacht und durchgemessen werden, sind Überlastungssignale früh erkennbar; verantwortungsvolle Trainer achten auf Regeneration, vor allem den Schlaf. »Schlafe wie ein Hausschwein«, fordert der Laufpapst Dr. Matthias Marquardt, also im Schnitt 8,4 Stunden.
Zwar ist die Erkenntnis nicht neu, dass der Körper Ruhe braucht, um Belastungsreize zu verarbeiten. Aber Freizeitsportler halten sich nur selten daran. Ist ja auch klar: Im Job ist die Hölle los, zu Hause immer was zu tun, und die feuchtfröhliche Runde mit Freunden mag man nicht jedes Mal absagen. In den wenigen freien Stunden wird umso härter geackert, etwa per TKLT. Schließlich steht in sechs Wochen ein unglaublich wichtiger Wettbewerb an.
Bei mir war es 2010 so weit. Tapfer bekämpfte ich die Herpesbläschen auf der Oberlippe mit Salbe und meine Schlappheit mit Vitamin-Cocktails. Dass ich bei Testläufen seit Wochen stagnierte, konnte nur eine Ursache haben: zu wenig Training. Es ist schon irre, welche zerstörerische Kraft Angst und schlechtes
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