Bewegt Euch
umgehend sein Sozialprestige.
150 Minuten, das klingt zunächst viel. Zieht man allerdings die Fahrten (optimistische 50 Minuten), Duschen und Aufrüschen (schmale 30 Minuten) und einen gewissen Puffer, etwa für unerwartete Telefonate (20 Minuten) ab, dann bleiben brutto nur noch 50 Minuten fürs Laufen. Selbst bei reduziertem Aufwärmen bleiben realistisch 40 Minuten für acht Kilometer, was einem 5 km/Min-Schnitt entspricht und mithin meiner Maximalgeschwindigkeit. Ich käme mausetot zum Meeting.
Mir bleiben fünf Optionen:
1.Klappe halten und durchziehen.
2.Strecke auf 6 km verkürzen.
3.Schwimmen gehen, weil ich da nach 30 Minuten fix und fertig bin.
4.Stabi-Gymnastik machen, weil immer richtig.
5.Training ausfallen lassen.
Option 5 verbietet mein Stolz, Option 1 meine Form, Option 3 scheitert an zahlreichen logistischen Bedenken und Option 4 an meiner Lust. Bleibt die Kurzstrecken-Variante: sechs Kilometer, aber die jetzt wirklich und zwar so was von.
Wie immer werfe ich das Kind erst im letzten Moment vor der Schule ab. Ein Müllwagen versperrt die Straße Richtung Grunewald, die neue Baustelle dahinter sorgt für den nächsten Stau. Eintreffen am Start 15 Minuten hinter Plan. Eigentlich nur noch Zeit für 3,5 Kilometer. Beim Einlaufen ziept der Knöchel. Kann ich da jetzt Druck draufgeben? Lieber nicht. Zu ungeduldig losgelaufen. Unkontrolliertes Hecheln. Nach 200 Metern pumpend erst mal stehen geblieben. Der Kopf voller Gedanken, vor allem: Wie zum Teufel soll ich pünktlich um 11 Uhr im Meeting sein, wenn ich um 9.30 Uhr mitten im Wald stehe, wahrscheinlich mit angebrochenem Knöchel?
»Du machst jetzt einen Kilometer Tempo, damit du überhaupt was geleistet hast, dann sehen wir weiter«, sagt Achim. »Aber mein Knöchel«, erwidert mein innerer Orthopäde. »Denk an deine emotionale Balance«, wirft meine innere Mona ein. »Du wirst schlechte Laune kriegen, wenn du jetzt einfach so nach Hause fährst«, sagt Achim. »Lasst mich alle in Ruhe und haut einfach ab«, brülle ich. Spitzenlaune. Toll, was die Bewegung so alles hinkriegt.
Also gut, ich renne los. An der Markierung »0,4 km« gebe ich auf. Ich finde keinen Rhythmus, ich habe Angst, zu spät zum Meeting zu kommen. Und ausdrucken muss ich auch noch was. Ich marschiere zurück zum Parkplatz und hasse mich ein wenig. Sportbilanz: wohlwollend gerechnet 1,9 Kilometer in 20 Minuten statt acht Kilometer schnell.
Was lerne ich aus diesem TKLT? Natürlich gar nichts, weil ich spätestens zwei Wochen später exakt den gleichen Fehler minutiös wiederhole.
Trainer befiehl, wir folgen dir
Du bist noch nicht so weit.
Klassischer Trainerspruch
Gibt es eigentlich noch ungecoachte Menschen? Arbeitslose haben ihren Job-Coach, Hundebesitzer den Dog-Coach, Aufgeregte einen Sleep-Coach und Paare natürlich einen Couple-Coach. In meinem Fitness-Studio wird Training für mehr als siebzig Disziplinen angeboten. Und alle funktionieren nach dem gleichen Prinzip: Ein Meister gibt vermeintliches Geheimwissen weiter, das mein Leben erleichtert und schöner macht.
Rolf Fiene, mein erster Trainer, entsprach dem Typus des guten Onkels. Er hatte über dreißig Jahre Handball-Erfahrung, die er an Knirpse wie mich mit Geduld und ohne wirtschaftliches Interesse weitergab. Mein nächster Coach war Gymnasiallehrer mit sportwissenschaftlichem Interesse, der uns erste Einblicke in die Systematik des Spiels verschaffte. Beiden erwiesen wir Jungs mehr Respekt als unseren Eltern.
Güte ist keine Einstellungsvoraussetzung für Trainer. Wir wussten, dass sich Ausreden sehr schnell entlarvten. Das klas sische Lehrer-Schüler-Verhältnis: Wissen wurde weiterge geben, uns verband die Motivation, von Spiel zu Spiel besser werden zu wollen. Unsere Währung war Leistung und Anerkennung.
Dieses eher klassische Verhältnis hat sich in der durchgecoachten Republik in zwei Richtungen entwickelt. Seit das Trainieren aller Lebenslagen ein gutes Geschäft geworden ist, gibt es entweder den Speed-Coach, der Resultate schon nach drei Stunden verspricht, oder aber den Never-Ending-Coach, der sein Wissen in homöopathischen Dosen weitergibt. Die Bindung ist also sehr kurz oder sehr lang, in jedem Fall aber sehr teuer.
So entstehen oft ökonomisch-seelische Abhängigkeitsverhältnisse wie zwischen Dealer und Junkie. »Gib mir mehr«, winselt der Freizeitathlet. »Es ist noch zu früh«, entgegnet der Trainer: »Du bist noch nicht so weit, du hast noch nicht genug trainiert.« Gerade
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