Bewegt Euch
mittelalte Menschen wie ich, die zwischen Nostalgie und Zukunftshoffnung oszillieren, sind anfällig für Versprechen: Morgen wird alles so gut sein, wie es früher mal war, wenn du gehorchst. So werden kluge, selbstbewusste Menschen bisweilen zu willenlosen Jüngern.
Die meisten Trainer, ob ausgebildete oder selbst ernannte, haben eine Vergangenheit als Leistungssportler. Sie haben die Machtspiele von früher jahrelang eingeatmet. Ob systematisch wie in der DDR oder punktuell wie in Westdeutschland – das Trainer-Athleten-Verhältnis ist ein sehr spezielles. Im Leistungssport hat der Coach mehr Macht als Eltern, Funktionäre, Partei oder Sponsor. Nur Hingabe zählt, oft bedingungsloser als in Politik oder Wirtschaft.
Das schlechte Gewissen des Athleten ist der Schlüssel zur Macht. Der Trainer thront mit Stoppuhr gottgleich an Bahn oder Beckenrand, jeder seiner Blicke wird vom Sportler angstvoll interpretiert. Ein gerauntes »Nicht schlecht« gilt als höchstes Lob, ein »Na ja« ist der Normalfall.
Diese Methode, schwarze Pädagogik und daher mit reich lich Traumata behaftet, überträgt mancher Ex athlet in sein Dasein als Coach. Er weiß um die Kraft von Lob und Kritik, er weiß, wie stark der Leistungswillen in der Midlife-Crisis ausgeprägt ist, er weiß, dass ein im Beruf durchaus erfolgreicher, aber eigentlich vom Leben gelangweilter Fünfziger nichts geiler findet als die knappe Anerkennung eines Menschen ohne Berufsausbildung, den er in seiner Firma nicht mal als Praktikanten beschäftigen würde.
Im Nachhinein bin ich über mich selbst erstaunt, wie bereitwillig ich diesem Prinzip der Hundeschule für eine Weile gefolgt bin. Manchmal hatte es Züge von Scientology. Wer nicht spurte oder gar aussteigen wollte, hatte mit Strafe zu rechnen.
Faszinierend, was da geschieht. Warum ändern sich in Sportklamotten plötzlich die gelernten Rollenbilder? Warum gelten Status und soziale Barrieren plötzlich nicht mehr, sondern nur noch Sekunden und Minuten? Warum spenden Menschen für Amnesty International, unterwerfen sich aber klaglos dem Regime von Knallköpfen?
Sicher hat es mit dem Stellenwert des Sports in unserer Gesellschaft zu tun. Wer je die Tour de France beendete, bei Olympia oder wenigstens beim Sportfest in der Provinz gewann, der gilt als Heiliger. Medaillen gehören zu den wenigen Werten, die allenthalben Respekt schaffen. Was den Jüngern ihr Jesus, das ist Freizeitsportlern ihr Coach, sofern er mal etwas gewonnen hat. Der Guru kann noch so viel Blödsinn anstellen, die Sektenmitglieder werden alles daran setzen, einen höheren Sinn hineinzuinterpretieren.
Drei, vier Jahre war ich ein solches Sektenmitglied. Für ein bisschen Lob glaubte ich an Sinn im Unsinn, ich verzieh irrsinnige Pläne und bezahlte sogar für verschlampte Termine. War ich verletzt, und das war ich ziemlich oft, war es natürlich meine Schuld. Den Gedanken, es könnte vielleicht an einem Coach liegen, der weder eine Trainerlizenz noch medizinische Grundkenntnisse besaß, wäre mir wie Majestätsbeleidigung vorgekommen. Erfolge dagegen waren zuallererst Verdienst des Trainers.
Es war ein Samstagmorgen auf der Toilette eines Berliner Leichtathletik-Stadions, der mich kurierte. Ein Trainer und sein Gehilfe betraten die weitläufige Sanitärlandschaft. Sie hatten offenbar nicht bemerkt, dass einer der Verschläge besetzt war, von mir. Es waren nur wenige Sätze, die ich unfreiwillig hörte. Aber die genügten vollauf. Die beiden Übungsleiter juxten über ihre Jünger: Der X sei so ziemlich das Untalentierteste, was ihm je untergekommen sei, sagte der eine, aber immerhin zahle er ebenso pünktlich wie bereitwillig. Da müsse man ihn im Glauben lassen, in ihm schlummere eine große leichtathletische Zukunft. Der andere prustete und merkte an, dass Läufer Y sich bereits mehrfach über eine Stagnation seiner Leistung beklagt habe. Einfach den Plan verschärfen, befahl der Erste, aber nicht zu krass, andernfalls drohe die nächste Verletzung und mithin Zahlungsausfall. Dieses kleine Intermezzo empfand ich als ausgesprochen lehrreich. Trainer scheinen in vertrauter Runde über ihre Kunden auch nicht besser zu denken und zu reden als Politiker über Wähler.
Inzwischen vertraue ich vor allem auf mich selbst. Verletzen kann ich mich auch allein. Und steht mal wieder ein Wettbewerb an, verlasse ich mich auf Trainingsberater, die ohne viel Sektengetue einfach nur Erfahrung weitergeben. Die gibt es nämlich auch. Glücklich ist, wer
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