Bewegungswissenschaft
Neuerwerb von Sportarten wie Golf, Schwimmen oder Tennis nichts entgegensteht.
Das spätere Erwachsenenalter (ab 60./70. Lebensjahr) beginnt in der Regel mit dem Eintritt in den beruflichen Ruhestand. Die Lebensaufgaben umfassen die Bewältigung des Ausscheidens aus dem Berufsleben, der Einengung der Sozialbeziehungen und der zunehmenden kritischen Lebensereignisse sowie die Freizeitgestaltung, die Neubalancierung des ehelichen Zusammenlebens und die Auseinandersetzung mit körperlichen Einschränkungen. Dem Bewegungsbedürfnis und dem Sporttreiben messen alte Menschen einen zunehmend geringeren Stellenwert zu. Der überwiegende Teil der alten Menschen ist sportlich inaktiv. Die Beteiligungsquote am vereinsorganisierten Sport liegt nur noch zwischen 10 % und höchstens 20 % der Altersklasse. Hierbei handelt es sich vorwiegend um Männer, die als Lebenszeitsportler oder Wiedereinsteiger bis ins hohe Alter aktiv am Sport teilnehmen (W INTER & B AUR , 1994).
Abb. 64: Einfluss des Alters und der sportlichen Aktivität oder Inaktivität auf die Maximalkraftfähigkeit der Beinstreckmuskulatur bei Männern (mod. nach S CHMIDTBLEICHER , 1994, S. 150)
Die Gesamtmotorik geht im späteren Erwachsenenalter geschlechtsunabhängig mit beachtlichen interindividuellen Unterschieden unvermeidbar und irreversibel zurück. Die Leistungsverschlechterungen sind „jedoch weit gehend abstufbar und lassen sich erheblich verzögern“ (M EINEL & S CHNABEL , 1998, S. 349). Die größten interindividuellen Variabilitäten bestehen unabhängig vom Trainingsniveau für die Ausdauer-, Kraft - und Schnelligkeitsfähigkeiten ( vgl. Abb. 63 und 64). Die maximale Kraftfähigkeit beträgt im Vergleich zur Maturität nur noch 60-70 %. Marathonläufer, Schwimmer, Tennisspieleroder Turner stehen nicht selten gleichaltrigen Personen mit Schwierigkeiten beim Treppensteigen oder Laufen gegenüber. Die beschleunigte Verschlechterung der motorischen Leistungen beruht weniger auf Alterungseffekten als auf inaktivitätsbedingten Veränderungen morphologischer und physiologischer Einflussgrößen (S CHMIDTBLEICHER , 1994).
Umweltfaktoren und sportliches Training können das Ausmaß und den Verlauf der Leistungsminderung bis ins hohe Alter positiv beeinflussen, aber nicht aufhalten. Als besonders lohnenswert gilt der Erwerb und der Erhalt der Ausdauer-, Kraft- und Beweglichkeitsfähigkeiten. Von gesundheitlicher Bedeutung sind tägliche Bewegungsaktivitäten, systematisches sportliches Training und eine ausgewogene Lebensführung (Ernährung, Schlaf usw.). Großen Wert sollten ältere Menschen auf die altersgemäße Stabilisierung und die Verbesserung der Beweglichkeitsfähigkeiten legen. Die zur Verkürzung neigende Muskulatur gilt es, gezielt zu dehnen und die abgeschwächten Muskeln zu kräftigen.
Zur Entwicklung der koordinativen Fähigkeiten liegen für das spätere Erwachsenenalter keine gesicherten empirischen Befunde vor. Offensichtlich ist die rigorose Abnahme der motorischen Lern-, Anpassungs-, Umstellungs- und Kombinationsfähigkeit. Zyklische Bewegungen, wie Laufen, Radfahren, Schwimmen oder Skilanglauf, können bis ins hohe Alter ausgeübt und sogar reaktiviert werden. Auch stehen den 70-Jährigen bei ständiger Übung die beherrschten Bewegungstechniken des alpinen Skilaufs, des Faustballs, des Gerätturnens, des Tennis oder des Volleyballs weiterhin zur Verfügung. Trotz kontinuierlichem Training lässt sich im hohen Alter die Reduzierung auf elementare motorische Fertigkeiten und einfache Bewegungskombinationen aber nicht vermeiden. „Der Greis bleibt stehen, wenn er sich die Handschuhe anzieht“ (M EINEL , 1960, S. 332). Sportmotorische Lernprozesse im alpinen Skilauf, Golf, Schwimmen oder Tennis verlaufen deutlich langsamer und fallen zumeist wesentlich geringer aus als im mittleren und späten Erwachsenenalter. Der deutsche Volksmund beschreibt dies sehr anschaulich: Dem grauen Scheitel fällt das Lernen eben schwer (Emanuel G EIBEL , 1815-1884). Zu den leistungsbegrenzenden Faktoren zählen die Schnellkraft-, Schnelligkeits- und Koordinationsanforderungen.
4 Motorische Entwicklung in der Lebensspanne im Überblick
Die motorische Entwicklung des Individuums als ein lebenslanges, komplexes Ineinandergreifen des körperlichen Wachstums, der Reifung, des motorischen Lernens und verschiedener materialer und sozialer Faktoren zählt zu den zentralen Gegenstandsbereichen der bewegungswissenschaftlichen Forschung. Evaluiert werden die
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