Bewegungswissenschaft
räumliche Orientierungsvermögen wie beim Gerätturnen, Kunstradfahren, Eiskunstlaufen, Wasserspringen, Skateboard- oder Snowboardfahren. Darüber hinaus fällt dem Vestibularsystem die Aufgabe der Regulation der Blickstellung zu (z. B. Fixierung des Gesichtsfeldes bei Kopfbewegungen).
Abb. 14: Schematische Darstellung des Vestibularsystems im Innenohr mit dem Raumlagesinnesorgan und dem Drehsinnesorgan (mod. nach T HEWS ET AL ., 1999, S. 717)
Das Vestibularsystem umfasst zwei morphologische Untereinheiten: die Maculaorgane (Macula utriculi, Macula sacculi) und das Bogengangsorgan. Die Maculaorgane bestehen aus zwei flüssigkeitsgefüllten Hohlräumen (Statosystemen), die am Boden einen Besatz von Sinneszellen mit winzigen Kalkkörperchen aufweisen (Statoliken, Ø 0.002 mm). Bei der Lageveränderung des Körpers zur Schwerkraft verbiegen sich die Sinneshaare entsprechend. Die auftretenen linearen Zug- und Druckveränderungen liefern den sinnesspezifischen Reiz der Macula-Organe (Latenzzeit: ca. 100 ms).
Bei der durch Translationsbewegungen ausgelösten Linearbeschleunigung und Linearverzögerung ( Linearsinn ) wirken auf die Macula-Organe verschiedene Kräfte. Die Horizontalbeschleunigung erregt die Sinneszellen der bei normaler Kopfstellung nahezu horizontal liegenden Macula utriculi (z. B. Geschwindigkeitsänderung beim Motorradfahren), während die Sinneszellen der bei normaler Körperhaltung nahezu senkrecht angeordneten Macula sacculi auf die Vertikalbeschleunigung ansprechen(z. B. Geschwindigkeitsänderung im Fahrstuhl). Das Erfassen der Linearbeschleunigung dient der Aufrechterhaltung einer bestimmten Körperhaltung und der Orientierung bei der Fortbewegung.
Das ebenfalls zum Vestibularsystem zählende Bogengangsorgan ermittelt die Rotationsbewegungen des menschlichen Körpers ( Drehsinn ; vgl. Abb. 14 ). Seine drei kreisförmigen, mit Flüssigkeit (Endolymphe) gefüllten Kanälchen (Bogengänge) entspringen dem Maculaorgan und sind derart nach den drei Raumrichtungen ausgerichtet, dass sie senkrecht aufeinander stehen. Die einander entsprechenden senkrechten Bogengänge des Drehsinnesorgans des linken und rechten Ohrs stehen ebenfalls senkrecht zueinander. Den Boden der drei Bogengänge besetzen in eine Gallertzunge (Cupula) eingebettete Sinneshaare.
Der adäquate Reiz für die Rezeptoren des Drehsinnesorgans entspricht der bei der Kopfbewegung in der entsprechenden Raumebene der Bogengänge auftretenen Winkelbeschleunigung: neigen (links-rechts), nicken (vorn-hinten) und drehen. Die Flüssigkeit der Bogengänge verbleibt infolge ihrer Trägheit zunächst in der Ruheposition, während die Bogengangswandungen weiterdrehen. Hierdurch wird die in die Flüssigkeit hineinreichende Cupula in die Gegenrichtung ausgelenkt. Es kommt zu einer Verbiegung der in die Cupula eingebetteten Sinneshaare und somit zu einer Aktivitätsänderung. Aus dem Beginn und dem Ende der Drehbewegung berechnet das Zentralnervensystem den Verlauf der Drehbewegung. Bei gleich bleibender Drehgeschwindigkeit folgt die Flüssigkeit im Inneren der Bogengänge der Drehbewegung. Bei kurzen Drehungen des Kopfs melden die Bogengangsafferenzen die aktuelle Drehgeschwindigkeit. Die Translationsbeschleunigung und die Gravitation beeinflussen das Drehsinnesorgan nicht. Die Bevorzugung einer Drehseite bei Eis- und Rollschuhläufern oder Turnern korreliert mit der jeweils geringeren Erregbarkeit des Vestibularorgans.
Stellungssinne der Körperperipherie
Die (re-)afferenten Kontrollmechanismen verlaufen über die in die Skelettmuskeln, die Sehnen, die Gelenkkapseln und die Haut eingebetteten bewegungsempfindlichen Stellungssinne der Körperperipherie (Tiefensensibilität). Diese erfassen den Widerstand gegen eine motorische Handlung, die passive und aktive Veränderung der Muskellänge und der Geschwindigkeit der Längenänderung, die Muskel- und Sehnenspannung oder die aktuelle Position der Gliedmaßen und ihre räumliche Stellung zueinander. Die hohe Leistungsfähigkeit der peripheren Stellungssinne beruht auf dem guten Differenzierungsvermögen und der Lage in unmittelbarer Nähe der Bewegungsorgane. Ausführliche anatomische und funktionale Beschreibungen der Stellungssinne der Körperperipherie findet der Leser bei T HEWS ET AL . (1999).
Die Messung der Muskelspannung unter statischen und dynamischen Kontraktionsbedingungen übernehmen die Muskelspindeln (vgl. Kap. 3) und die im Muskel-Sehnen-Übergang liegenden dehnungsempfindlichen
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