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Bewegungswissenschaft

Bewegungswissenschaft

Titel: Bewegungswissenschaft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer Wollny
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Funktionsprozesse der Motorik. Kapitel 5 diskutiert die fassettenreichen psychologischen Vorstellungen und Befunde über die Existenz, die Inhalte (Kap. 5.1) und die Organisation motorischer Programme (Kap. 5.2). Auf das Zusammenspiel von zentral repräsentierten Bewegungsprogrammen und sensorischen Systemen geht dieMonitoring-Hypothese ein (Kap. 5.3). Das Abschlusskapitel 6 stellt die neurobiologischen und psychologischen Befunde über die Bewegungssteuerung im Überblick zusammen.
2 Welche Begriffe sind grundlegend?
    Der Mensch bedient sich bei der Koordination schneller Bewegungen (< 200 ms) verschiedener neuronaler Kontrollmechanismen. Hierzu zählen die im motorischen Gedächtnis repräsentierten Bewegungsprogramme und die vorrangig auf der Rückenmarksebene lokalisierten, angeborenen motorischen Reflexe und Automatismen.
    Nach der Open-Loop-Idee kontrollieren erlernte Gedächtnisinhalte eigenständig einfache und komplexe Bewegungsfertigkeiten, ohne während der Bewegungsausführung auf periphere Rückmeldungsprozesse zurückzugreifen. Zentralnervöse Bewegungsvorschriften bezeichnet die Bewegungswissenschaft in Anlehnung an die Informationswissenschaft als Bewegungsprogramme, motorische Programme oder motorische Engramme. K EELE (1968, S. 387) definiert ein Bewegungsprogramm als „a set of muscle commands that are structured before a movement sequence begins, and that allows the entire sequence to be carried out uninfluenced by peripheral feedback“.
    Charakteristisch für motorische Programme sind ihr ziel- und zeitgerichteter Handlungscharakter (Greifen, Zeigen, sporttypische Fertigkeiten usw.), die differenzierte Afferenzsynthese vor dem Bewegungsbeginn, die Antizipation zukünftiger Umweltveränderungen und die Existenz vorbereitender Prozesse der Bewegungsausführung. Die zentrale Annahme der Programmkonzepte besteht darin, dass Bewegungsprogramme sequenzielle oder hierarchisch geordnete Informationen über bestimmte Bewegungstechniken beinhalten. Hierzu zählen die zeitlich-räumliche Bewegungsstruktur und die Regulation der zahlreichen Freiheitsgrade des Bewegungsapparats.
    Beim Fosbury-Flop oder beim Salto vorwärts im Gerätturnen müssen die Athleten nahezu alle Gelenke der kinematischen Bein-, Rumpf- und Armkette, d. h. bis zu 240 Freiheitsgrade, koordinieren. Weitere Freiheitsgrade ergeben sich aus der Gleichgewichtserhaltung, der Elastizität der Muskeln, Sehnen und Bänder, den sich verändernden bewegungs- und umweltbedingten Kräften oder den Wert- und Erfolgsorientierungen des Individuums. Darüber hinaus müssen Bewegungsprogramme beschreiben, wie der Organismus auf unerwartete Umweltveränderungen reagieren soll. Beim alpinen Skilauf betrifft dies die nur bedingt vorhersehbare Veränderung der Schneebeschaffenheit der Piste. In einem Trail muss der Mountainbikefahrer ständig kleinere und größere Hindernisse umfahren oder überwinden.
    Die motorische Einheit bezeichnet den funktionellen Verbund zwischen einem im Vorderhorn des Rückenmarks gelegenen motorischen Neuron (Axon) und der von ihm innervierten Muskelfasern ( vgl. Abb. 15 ). Das Innervationsverhältnis der motorischen Einheiten hängt davon ab, wie komplex, wie exakt oder mit welcher muskulären Kraft der Mensch die Bewegung ausführt. Nach T HEWS ET AL . (1999) gilt als Faustregel, dass die Skelettmuskeln für fein abgestufte, kleinräumige Bewegungen kleinere motorische Einheiten besitzen (z. B. Augen-, Fingermuskulatur: 3-10 Muskelfasern pro α-Motoneuron) als diejenige Muskulatur, die grob abgestufte, großräumige Fertigkeiten und eine möglichst hohe Kraft erzeugt (z. B. Oberschenkel-, Rückenstrecker: bis 2.000 Muskelfasern pro α-Motoneuron).

    Abb. 15: Schematische Darstellung einer motorischen Einheit
    Die einmalige Erregung des α-Motoneurons bedingt eine muskuläre Einzelzuckung. Aufeinander folgende Entladungen des α-Motoneurons führen zu einer Überlagerung der Einzelzuckungen und koordinierten Muskelkontraktionen ( vgl. Lektion 11 ). Die Entladungsfrequenz der α-Motoneurone reguliert die Feinabstufung der Bewegung (Frequentierung), während die Anzahl der rekrutierten motorischen Einheiten die Grobabstufung der muskulären Kontraktion koordiniert (Rekrutierung).
    Nach psychologischen und bioanatomischen Vorstellungen werden die motorischen Programme vor dem Bewegungsbeginn aus dem motorischen Gedächtnis abgerufen, an die Umweltbedingungen angepasst (Programmierung) und nach der Dekodierung der abstrakten

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