Bewegungswissenschaft
Fehlerkorrekturmechanismen fehlen.
Abb. 18: Schematisches Flussdiagramm eines einfachen Open-Loop-Systems
Ablaufprogramme von Lichtzeichenanlagen müssen aber nicht derart unflexibel sein. Zur Vermeidung tageszeitlich wiederkehrender Verkehrsstaus, wie beim Arbeitsbeginn oder Arbeitsende eines großen Unternehmens, kann zu bestimmten Tageszeiten die stärker frequentierte Straße eine längere Grünphase erhalten. Während der Nachtzeit mit geringem Verkehrsaufkommen kann das Ablaufprogramm die Lichtzeichenanlage zur Vermeidung unnötiger Wartezeiten völlig abschalten. Die zeitlich befristete Bevorzugung einer Straße durch eine längere Grünphase oder die nächtliche Abschaltung der Lichtzeichenanlage muss aber bereits bei der Programmierung des Ablaufprogramms der Lichtzeichenanlage berücksichtigt werden.
Nach psychologischen und bewegungswissenschaftlichen Vorstellungen unterliegen schnelle Bewegungsausführungen bis ca. 200 ms und einer Geschwindigkeit von 8-10 m/s – wie die schnelle Gerade im Boxen, das Werfen eines Dartpfeils oder die reflexartigen Torwartreaktionen – der Open-Loop-Kontrolle (Bewegungssteuerung) . Die (re-)afferenten Informationen stehen dem Zentralnervensystem nur zeitverzögert zur Verfügung. Bei der Bewegungssteuerung gibt eine „höhere“ Instanz des Zentralnervensystems (Exekutive) der Skelettmuskulatur (Effektor) durch spezielle motorische Kommandos (Stellgröße) vor, zu welchem Zeitpunkt, über welche Zeitdauer und mit welchem Krafteinsatz die Muskelkontraktionen erfolgen sollen. Vor dem Bewegungsbeginn schreibt ein motorisches Programm auf der Grundlage der Bewegungsaufgabe und der sensorischen Rückmeldungen die ablaufrelevanten Bewegungsdetails exakt fest. Anschließend werden die Programminhalte in Efferenzen überführt. Während der Bewegungsausführung nimmt das Zentralnervensystem, vergleichbar zur Closed-Loop-Kontrolle, zwar kontinuierlich (Re-)Afferenzen wahr, ohne diese aber für direkte Korrekturmaßnahmen nutzen zu können.
Beim Klavierspielen oder Boxen bedeutet dies, dass bestimmte Hirnareale die fortlaufend einfließenden sensorischen Rückmeldungen über die Position und die Bewegung der einzelnen Fingerglieder bzw. Körpergliedmaßen zwar analysieren, als ob sie „Ausschau“ nach Ausführungsfehlern halten. Planungsfehler oder unvorhersehbare Störungen kann der Mensch auf Grund der kurzen Bewegungszeiten aber erst im nachfolgenden Versuch durch entsprechende Abänderungen des Programms korrigieren. Ein Abbruch der Bewegung ist nach der Initiierung des Bewegungsprogramms vielfach nicht möglich.
4 Welchen Hirnarealen untersteht die Bewegungsorganisation?
Traditionellerweise schreiben die Neuroanatomie und die Psychologie dem menschlichen Hirn bei der Koordination ziel- und zeitgerichteter Bewegungen eine hierarchische Funktionsweise zu. Hiernach greifen höhere Instanzen des Zentralnervensystems in die Kontrollprozesse niedriger Instanzen verändernd ein. Die nachfolgenden Abschnitte beschreiben diejenigen Hirnareale, die in einem funktionalen Zusammenhang mit der Vorabprogrammierung willkürlicher Bewegungen stehen. Die bioanatomischen Ausführungen über die motorischen Kontrollstrukturen des Hirns gehen auf eine Darstellung von B IRBAUER und S CHMIDT (2006) zurück. Bei neuroanatomischen Kenntnissen ist zu berücksichtigen, dass diese mehrheitlich auf modellhaften Annahmen und reduzierten Sichtweisen beruhen, die sicherlich die Gefahr der Überinterpretation bergen.
Das menschliche Hirn besteht aus zwei Hemisphären, die durch einen tiefen Einschnitt getrennt und durch den so genannten Balken mit ca. 200 Millionen Nervenfasern miteinander verbunden werden. Die Oberfläche des Hirns strukturieren durch Furchen getrennte Windungen (Lappenaufteilung). Zu den Hauptabschnitten des Hirns zählen das Vorder-, Mittel- und Rautenhirn. Für die Bewegungskoordination von zentraler Bedeutung sind das Vorderhirn mit den Basalganglien, dem Thalamus und dem Neokortex sowie das Rautenhirn mit dem Cerebellum (syn. Kleinhirn; vgl. Abb. 19 ).
Der Neokortex untergliedert sich nach funktionalen Gesichtspunkten in die primären sensorischen und motorischen Regionen und die Assoziationsareale der Großhirnrinde. Für die Bewegungskontrolle bedeutsam erscheinen der primär-somatosensorische Kortex (Parietallappen) und der benachbarte primär-motorische Kortex (Frontallappen). Anatomiebücher stellen diese beiden Hirnareale üblicherweise als „Homunculi“ dar.
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