Bewegungswissenschaft
anspruchsvolle, dennoch leicht verständliche Einordnung der theoretischen Grundlagen, der Forschungsmethodik und der empirischen Befunde der biomechanischen, ganzheitlichen, funktionalen und fähigkeitsorientierten Betrachtungsweisen der Bewegung und der Motorik geben R OTH und W ILLIMCZIK (1999). Das besondere Augenmerk gilt dem sportpraktischen Nutzen bewegungswissenschaftlicher Kenntnisse (vgl. Kap. 4).
Bei geschlossenen sportmotorischen Fertigkeiten (Salto rückwärts beim Bodenturnen, Schwimmtechniken, Wasserspringen usw.) sind die motorischen Leistungsvoraussetzungen an relativ feste sportartspezifische Bewegungsformen gebunden. Die äußeren Bedingungen sind während der Bewegungsausführung weit gehend konstant, bekannt oder für den Bewegungsverlauf irrelevant, sodass der Sportler die motorischen Aufgaben mit vorgefertigten Bewegungstechniken lösen kann. Eine spezielle Fertigkeit, wie die Bielmann-Pirouette im Eiskunstlaufen oder der Dreifach-Salto im Wasserspringen, ist vielfach selbst das Ziel und der Zweck der Bewegungsausführung.
Motorische Fähigkeiten stellen generalisierte, technikübergreifende Leistungsvoraussetzungen dar, die auf die unterschiedlichen Bewegungsfertigkeiten des Sports sehr ähnlich einwirken und ökonomische motorische Handlungen gewährleisten. Ihre Existenz und Ausprägung kann die Wissenschaft nicht direkt belegen, sondern nur indirekt über ein spezielles Erhebungsverfahren – den sportmotorischen Test – aus dem motorischen Verhalten des Individuums erschließen (R OTH , 1999; vgl. Lektion 2, Kap. 4 ). Beispielsweise gilt die Sprungweite im Standweitsprung als einfacher aussagekräftiger Indikator für die horizontale Schnellkraft der Beinmuskulatur.
Seit G UNDLACH (1968) unterscheidet die sportwissenschaftliche Bewegungsforschung die motorischen Basisfähigkeiten theoriebegründet (deduktiv) nach primär energetisch bedingten konditionellen Fähigkeiten – Ausdauerfähigkeiten (syn. Ausdauerleistungsfähigkeiten, Ausdauer) und Kraftfähigkeiten (syn. Kraftleistungsfähigkeiten, Kraft) –und vornehmlich zentralnervösbedingten koordinativen Fähigkeiten. Daneben bestehen für den Sport bedeutsame Mischformen. Diese beruhen mit unterschiedlichen Anteilen auf energetisch-konditionellen und koordinativen Grundlagen: die Schnelligkeitsfähigkeiten (syn. Schnelligkeitsleistungsfähigkeiten, Schnelligkeit) und die Beweglichkeitsfähigkeiten (syn. Beweglichkeitsleistungsfähigkeiten, Beweglichkeit; vgl. Abb. 1 ).
Abb. 1: Übersicht zu den motorischen Basisfähigkeiten (mod. nach Z IMMERMANN , 1998, S. 207)
Qualitative Bewegungsmerkmale gliedern sich nach elementaren (Bewegungsstärke, Bewegungsumfang usw.) und komplexen Kenngrößen (z. B. Bewegungsrhythmus, Bewegungskopplung, Bewegungspräzision, Bewegungskonstanz; vgl. Abb. 2 ). M EINEL und S CHNABEL (1998) kennzeichnen den Bewegungsrhythmus als zeitliches Ordnungsmerkmal und die Bewegungskopplung als Merkmal des Zusammenhangs der Teilbewegungen und der Bewegungsübertragung. Die Bewegungspräzision stellt ein Ziel- und Ablaufgenauigkeitsmerkmal und die Bewegungskonstanz ein Merkmal der Wiederholungsgenauigkeit dar.
Messbare oder berechenbare quantitative Bewegungsmerkmale wie Zeit, Geschwindigkeit, Beschleunigung, Kraft oder elektrische Muskelaktivität dienen der objektiven Charakterisierung äußerer oder körperinnerer Bewegungsmerkmale. Kinematische Kenngrößen beschreiben Orts- und Lageveränderungen des Körpers oder einzelnerKörperteile. Dynamische Merkmale stellen diejenigen Kraftgrößen dar, die durch die Bewegungen des Körpers oder der Sportgeräte verursacht werden ( vgl. Lektion 10 ). Elektrophysiologische Kennwerte charakterisieren bioelektrische Muskel-, Reflex- und Hirnaktivitäten ( vgl. Lektion 11 ).
Abb. 2: Qualitative und quantitative Bewegungsmerkmale
Zu den bekanntesten Strukturierungskonzepten sportmotorischer Fertigkeiten zählen die chronologische Phasengliederung nach M EINEL (1960; M EINEL & S CHNABEL , 1998) und die hierarchische Funktionsphasengliederung nach G ÖHNER (1974, 1979, 1992).
Die chronologische Phasengliederung menschlicher Bewegungen nach M EINEL (1960) unterteilt die azyklischen Fertigkeiten (Techniken der Kampfsportarten, Gewichtheben, Wasserspringen, Wurf-, Stoß-, Schlagtechniken usw.) in eine zweckhafte, nicht umkehrbare und austauschbare Vorbereitungs-, Haupt- und Endphase (Dreiphasengliederung). Bei zyklischen Bewegungen (Gehen, Laufen, Paddeln, Radfahren,
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