Bewusstlos
nicht, dass man wegbleibt und nicht anruft.«
»Ich dachte, ihr wisst, wo ich bin.«
»Wussten wir nicht!« Stella sang den Satz. Das kleine Streitgespräch machte ihr Spaß, sie fühlte sich ungeheuer wichtig und wollte auf gar keinen Fall zurück ins Bett.
»Wenn man erwachsen ist, muss man nicht dauernd anrufen.«
»Muss man doch!«
»Muss man nicht!«
»Muss man doch!«
»Muss man nicht!«
»Muss man doch!«
Stella jauchzte, als Raffael sie hochnahm und ihr einen Kuss auf die Nase drückte.
»Der liebe Gott weiß alles, und Stella weiß alles besser!«
»Genau!« Stella lachte und machte Raffael klar, dass sie auf dem Arm bleiben und getragen werden wollte.
Sie schlang ihre dünnen Ärmchen um seinen Hals, schmiegte sich an ihn und legte ihren Kopf auf seine Schulter.
Raffael brachte sie in ihr Zimmer, und nach zehn Minuten kam er zurück, weil Stella eingeschlafen war.
Beim Essen beobachtete Karl seinen Sohn und wurde nicht schlau aus ihm. Je länger er hier war, desto rätselhafter erschien er ihm. Raffael hatte vor noch nicht einmal achtundvierzig Stunden eine Frau umgebracht. Aber er wirkte in keinster Weise nervös oder ängstlich, sondern zum ersten Mal wirklich entspannt und gelöst. Er musste doch wissen, dass er die Leiche in der Ferienwohnung zurückgelassen hatte! Aber er ging nicht hinein, verschwendete offenbar keinen Gedanken daran.
Das konnte Karl überhaupt nicht verstehen.
Oder war Vasco tatsächlich irgendwie an Raffaels Messer gekommen? Und hatte doch Vasco mit Raffaels Messer Paola umgebracht?
»Kennst du eigentlich Vasco?«, fragte Karl völlig unvermittelt, und Raffael sah überrascht auf.
»Nein. Wer ist denn das?«
»Ach, nur ein Gärtner. Ich dachte, ihr seid euch hier schon mal irgendwo begegnet.«
»Nee. Hätte ich ihm begegnen sollen?«
»Nein, nein. Fiel mir nur grade ein. Ist völlig unwichtig.«
»Vasco … Vasco, der Name kommt mir irgendwie bekannt vor. Ist er nicht der Freund von Paola? Hat sie nicht von ihm erzählt, als sie hier mit dieser zerschlagenen Fresse ankam?«
Karl wunderte sich, dass er das noch wusste. Und er hatte » ist er nicht der Freund« und nicht » war er nicht der Freund« gesagt.
»Ja, das stimmt. Vasco ist der Freund von Paola.«
»Und der arbeitet hier?«
»Ab und zu. Aushilfsweise.«
Christine hörte mit großen Augen zu. Sie wusste nicht so recht, worauf das alles hinauslaufen sollte und was Karl bezweckte.
»Apropos Paola«, fing Raffael wieder an, »wo ist sie eigentlich? Hat sie nicht hier übernachtet? Oder ist sie reumütig zu ihrem Scheißkerl zurückgekehrt?«
Karl starrte Raffael an und brachte kein Wort mehr heraus.
»Hallo! Ich hab euch gefragt, wo Paola ist!«
Karl beugte sich vor und sah Raffael direkt in die Augen. » Du müsstest doch am allerbesten wissen, wo Paola ist und warum sie nicht mehr kommt.« Seine Stimme war gefährlich ruhig.
»Nein. Woher soll ich das wissen? Ich wundere mich nur.«
Er hat wirklich nicht den blassesten Schimmer, dachte Christine entsetzt.
»Nee, aber mal im Ernst. Hat Paola gekündigt? Oder wann kommt sie wieder? Ich hätte sie nämlich gern ein bisschen näher kennengelernt.« Raffael grinste.
»Nein. Sie hat nicht gekündigt. Sie ist verschwunden, Raffael. Einfach weg. Vom Erdboden verschluckt. Auch Vasco weiß nicht, wo sie ist. Sie hat keinem was gesagt. Weder uns noch ihm. Ich nehme an, dass Vasco jetzt zur Polizei gehen wird. Wenn er es nicht schon getan hat.«
»Macht ihr euch Sorgen?«
»Sicher. Hast du mit ihr gesprochen? Hat sie dir irgendwas gesagt?«
»Nein, ich hatte dazu noch gar keine Gelegenheit.«
Christine wurde übel. Er hatte kein schlechtes Gewissen und nicht die geringste Ahnung. So perfekt konnte man nicht schauspielern.
Karls Gedanken überschlugen sich. Er wusste nicht mehr ein noch aus. Vielleicht war es doch besser, wenn er zur Polizei ging, Paolas Verschwinden anzeigte und von seiner Angst sprach, dass ihr etwas passiert sein könnte – zumal es zwischen Vasco und ihr einen fürchterlichen Streit gegeben hatte. Dann würden die Carabinieri ihre Ermittlungen und ihren Verdacht erst einmal auf Vasco konzentrieren.
Aber gleich darauf versuchte er noch einmal ganz sachlich nachzudenken und die Leiche auszublenden: Eine Angestellte war seit drei Tagen nicht zur Arbeit erschienen. Punkt. Mehr ist nicht. Als Arbeitgeber ist er sauer, ruft bei ihrem Freund an, und der sagt, sie wäre nach einem Streit abgehauen. Die ganze Sache ist allein Paolas
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