Bewusstlos
trinken!«
»Wer ist Stefano?«
»Ein ganz alter Mann aus dem Dorf. Die Leute sagen, er ist so alt, weil er so oft gestochen worden ist. Bienenstiche sind wie Medizin.«
»Wo sind denn unsere Eltern?«
»Weiß nicht. Weg.«
Raffael nickte. »Dann sag mal der Maria, dass wir einen kleinen Spaziergang machen und in ein oder zwei Stunden wieder zurück sind.«
Stella übersetzte, und jetzt leuchteten auch Marias Augen. Bei ihrem großen Bruder war Stella in guten Händen, und sie konnte für zwei Stunden nach Hause fahren und sich um ihre kranke Mutter kümmern. Vielleicht war ja Raffael sogar bereit, sich jeden Nachmittag eine Weile mit Stella zu beschäftigen.
»Also dann, bis später.«
Raffael und Stella gingen langsam in Richtung Kapelle, und Maria hastete zu ihrem Auto.
Stella lief nicht, sie tobte neben ihm her, und er wunderte sich, welch unbändige Energie dieses Mädchen hatte. Sie sprang über Stock und Stein, bergauf und bergab, lief eine Strecke vor, rannte wieder zurück, pflückte im Vorübergehen ein paar Blumen, kickte Steine vor sich her, und wenn sie einen hohen Felsvorsprung entdeckte, kletterte sie fünfmal hinauf, um hinunterzuspringen. Die mörderische Hitze schien ihr nicht das Geringste auszumachen, und während sie herumsauste, plapperte sie noch ohne Punkt und Komma.
Sie redete über den Kindergarten, der ja jetzt im Sommer geschlossen war, und darüber, dass sie bald, im September, in die Schule gehen würde. Sie erzählte von Paola, die ganz lieb, aber auch ein bisschen dumm war. Zum Beispiel konnte sie im Turm nicht aus dem Fenster gucken, weil sie Angst hatte, runterzufallen. Und das war ja nun wirklich ziemlich dumm. Denn wie sollte man rausfallen, wenn das Fenster geschlossen war oder wenn man nur einfach so am offenen Fenster stand und nicht auf dem Fensterbrett herumkletterte?
Stella tippte sich an die Stirn und lachte.
Aber dass Paola jetzt nicht mehr kam, war wirklich blöd. Denn die Maria war einfach todsterbenslangweilig. Mit der konnte man überhaupt nichts anfangen. Die vergaß immer alles, wusste keine spannenden oder lustigen Geschichten und sagte ständig, wenn man sie was fragte: »Ich weiß nicht.«Maria war echt öde.
Aber das war ja jetzt alles nicht so schlimm, weil ihr großer Bruder Raffael da war.
»Und du bist echt toll. Richtig nett«, sagte Stella und hängte sich in seinen Arm. »Wenn ich groß bin, heirate ich dich.«
Raffael war gerührt und drückte ihr einen Kuss auf die Stirn.
»Wie weit ist es denn noch bis zu den Bienen?«
»Nicht mehr weit.«
»Komm, dann beeilen wir uns. Wir tun jetzt mal so, als ob wir zwei Wildpferde sind!«
Stella strahlte.
Raffael nahm ihre Hand, und sie galoppierten los.
55
Der See glitzerte in der Sonne, und die Ruhe und Stille, die von diesem Ort ausgingen, waren irgendwie unwirklich und rätselhaft.
Das Wasser war von dichtem Wald umgeben, als hüte es ein Geheimnis, nur an drei Stellen gab es winzige Sandstrände, die nicht mehr als zehn Meter breit und die einzigen Zugänge zum See waren.
Dennoch war dort kein Mensch. Auch jetzt in der Hauptsaison nicht.
Das war das Merkwürdige.
Sie standen eine Weile schweigend am Ufer, bis Stella schließlich sagte: »Mama hat erzählt, hier sind schon viele Menschen ertrunken. Weil es in der Mitte vom See ein großes, tiefes Loch gibt, das bis zum Inneren der Erde geht und die Leute, die da drin schwimmen, einfach nach unten zieht. Viele, viele Tausend Kilometer tief.«
»Das kann nicht sein. Dann würde der See ja leerlaufen.«
»Aber wenn Mama es doch gesagt hat!« Stella schmollte, und Raffael tätschelte entschuldigend ihre Schulter.
»Der See ist wunderschön«, flüsterte er. »So etwas habe ich hier in dieser Gegend gar nicht erwartet.«
Sie setzten sich am Ufer ins Gras, und Stella kuschelte sich an ihn.
»Wollen wir schwimmen gehen?«, fragte Raffael.
»Ich kann nicht schwimmen. Ich geh auch nicht in den Pool.«
Raffael nickte. »Aber du musst schwimmen lernen, Stella. Das ist wichtig. Und im See kann man es viel schneller und leichter lernen. Die Fische können schließlich auch alle schwimmen. Oder hast du schon mal ’nen Fisch gesehen, der nicht schwimmen kann?«
Stella kicherte. »Nee, aber die sind ja sowieso schon alle untergegangen und unter Wasser.«
»Unter Wasser kann man auch schwimmen.«
»Aber nicht die Menschen.«
»Doch, wenn man die Luft anhält, kann man tauchen. Nicht lange natürlich, aber ein oder zwei Minuten schon.«
Stella
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