Bewusstlos
schien zu überlegen und machte einen spitzen Mund.
»Soll ich es dir beibringen?«
»Vielleicht. Ich hab ein bisschen Angst, weißt du. Ziemlich viel Angst sogar.«
»Aber ich bin doch bei dir, und ich pass auf, dass dir nichts passiert.«
»Das nächste Mal vielleicht.«
»Gut. Dann probieren wir es das nächste Mal.«
»Buonasera, Vasco, hier ist Christine. Come stai?«
»Abbastanza bene, oder besser gesagt: beschissen«, grummelte Vasco.
»Hast du inzwischen was von Paola gehört?«
»Nein. Nichts.« Vascos Stimme klang nicht besorgt, sondern wütend.
Paolas Verhalten brachte ihn auf die Palme. Denn das ließ er sich nicht bieten. Nicht von einer Frau. Wenn überhaupt jemand die Beziehung beenden konnte, dann war er es, aber nicht sie. Erst hurte die Schlampe irgendwo herum, und dann blamierte sie ihn noch, indem sie einfach abhaute. Wenn er sie irgendwann und irgendwo noch einmal wiedersehen sollte, würde er sie grün und blau schlagen.
»Mir reicht es, Vasco«, sagte Christine, und dabei klang sie hart und geschäftsmäßig, »ich habe hier Probleme ohne Ende. Wir sind in der Hauptsaison, das Castelletto ist ausgebucht, es gibt jede Menge Arbeit, und der Kindergarten hat geschlossen.«
»Mir kommen die Tränen«, murmelte Vasco, der keine Lust hatte, sich das Gejammer von Paolas Arbeitgebern anzuhören, denen das Geld wahrscheinlich aus den Ohren kam. Sie sollten sich mal ansehen, wie er jetzt lebte: ohne Job und ohne Paola.
Christine überhörte die Bemerkung, sie war sich sowieso nicht sicher, ob sie den Satz bei Vascos Genuschel überhaupt richtig verstanden hatte.
»Darum wollte ich dir nur Folgendes sagen«, fuhr sie fort. »Wenn Paola nicht innerhalb der nächsten zwei Tage hier wieder aufkreuzt, ist sie den Job los. Okay? Ich suche mir einen Ersatz. Ich kann nicht länger warten.«
»Mach doch, was du willst.«
Eine Pause entstand. Es war, als hinge jeder einen Moment seinen eigenen Gedanken nach.
»Sag mal ehrlich, Vasco, was glaubst du, wo sie ist?«
»Ich weiß nicht.«
»Machst du dir keine Sorgen?«
Vasco schluckte. Und das, was er dann sagte, klang gar nicht mehr aggressiv, eher verzagt.
»Ich mach mir riesige Sorgen. Denn so zu verschwinden und sich überhaupt nicht zu melden, passt nicht zu ihr. Nicht so lange. Irgendwas ist ihr passiert.«
Es klang, als ob er schniefte, aber Christine war sich nicht sicher.
»Hast du mit ihren Eltern in Sizilien gesprochen?«
»Na klar. Da ist sie nicht. Und bei ihrer Tante in Radda ist sie auch nicht. Außerdem hab ich noch zwei Freundinnen von ihr angerufen, aber mehr fällt mir nicht ein.«
»Dann musst du zur Polizei gehen, Vasco. Unbedingt! Erzähle alles, was passiert ist. Auch, dass ihr euch gestritten habt. Ganz egal. Aber gib eine Vermisstenanzeige auf. Damit sie gesucht wird. Ohne Polizei kommst du nicht weiter.«
Es war schon wieder still in der Leitung, weil Vasco nachdachte.
»Vielleicht«, sagte er schließlich. »Vielleicht hast du recht.«
»Nur die Polizei kann dir jetzt noch helfen, Vasco.«
»Scheiße!«, schrie er und legte auf.
»Weißt du, Stella, ich hatte schon mal eine Schwester. Eine Zwillingsschwester, da war ich genauso alt wie du.«
»Echt?«
»Echt.«
»Davon weiß ich nichts.«
»Haben dir Mama und Papa nichts von Svenja erzählt?«
Stella schüttelte trotzig den Kopf, denn sie wusste im Moment nicht, ob sie neugierig, eifersüchtig oder wütend sein sollte.
Sie saßen am Wasser auf einem Baumstamm, und es schien, als wären sie allein auf der Welt.
Stella ließ ihre Füße ins kühle Wasser baumeln.
»Und was ist mit ihr?«
»Sie ist tot. Sie ist gestorben, als wir beide sieben Jahre alt waren.«
»Warum denn?«
»Es war ein Unfall.«
»Auweia. Das ist schlimm.«
»Ja.«
»Darum haben Mama und Papa nichts gesagt. Weil es so schlimm ist.«
»Wahrscheinlich.«
Raffael tat das Herz weh. Er wusste einfach nicht, was er jetzt machen sollte. Sollte er weiterreden oder lieber schweigen? Er war völlig durcheinander.
Stella sagte und fragte nichts mehr, sondern planschte mit ihrem Fuß unentwegt im Wasser.
Raffael wusste noch nicht einmal, ob ihm das auf die Nerven ging oder nicht.
Es waren bestimmt fünf Minuten vergangen, und Raffael fragte sich, wie es ein kleines Mädchen schaffte, so lange so ruhig zu sein. Dann sagte er leise: »Aber die kleine Svenja, weißt du, meine Schwester, die ich ganz, ganz, ganz doll lieb gehabt habe, die hatte andere Haare als du.«
Das war für Stella
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