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Bewusstlos

Bewusstlos

Titel: Bewusstlos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Thiesler
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dem Werkzeugkasten in der Speisekammer.
    »Du alte Schlampe!«, schrie er. »Warum antwortest du nicht?«
    Lilo hielt den Atem an, weil es plötzlich ganz still war. Raffael gab keinen Ton mehr von sich.
    Und dann hörte sie ihn schluchzen und ein leises, schabendes Geräusch, als würde er an der Tür herunterrutschen.
    »Ich habe Angst um dich, Lilo«, jammerte er leise. »Ich kann es nicht ertragen, wenn ich nicht weiß, was mit dir ist. Ich muss sicher sein, dass es dir gut geht, sonst kann ich nicht leben. Warum sperrst du mich aus? Womit hab ich das verdient? Ich will dir doch bloß helfen, will für dich da sein, Lilo, du schaffst das doch alles nicht mehr allein.«
    Er wimmerte wie ein kleines Tier im Käfig.
    Das waren Worte, die sie noch nie von ihm gehört hatte, und sie trafen sie bis ins Mark. Und obwohl sie wusste, dass er betrunken war, ging sie zur Tür und schloss auf.
    Raffael lag zusammengekrümmt wie ein Embryo im Flur.
    »Steh auf und komm rein«, sagte sie leise.
    Raffael brauchte ein paar Sekunden, bis er begriffen hatte, dass die Tür offen war und Lilo vor ihm stand, und rappelte sich langsam hoch.
    Sein Gesicht war tränenverschmiert.
    Ich möchte ihn nicht mehr weinen sehen, dachte sie, es passiert einfach zu häufig, es nutzt sich ab, es geht mir auf die Nerven.
    »Warum lässt du mich nicht einfach in Ruhe?«, fragte sie leise, während sie zurück ins Bett ging und er sich in einen Sessel neben dem Fenster setzte. »Es kann dir egal sein, ob ich meine Tür abgeschlossen habe oder nicht. Lass mich einfach nur schlafen, okay?«
    »Ich hab mir Sorgen gemacht.«
    »Wenn man betrunken ist, macht man sich leicht Sorgen. Über tausend Dinge, über die man sich eigentlich gar keine Sorgen zu machen bräuchte. So ist das nun mal.«
    »Das weißt du?«, fragte er spöttisch.
    »Das weiß ich. Ich war auch mal jung. Und ich war auch mal betrunken. Allerdings nicht so häufig wie du.«
    Seine Augen verengten sich. Sie sah, dass er sich über ihre Bemerkung geärgert hatte.
    Ich sollte ihn nicht reizen, dachte sie, ich sollte ihn wirk lich nicht reizen.
    »Ist irgendetwas passiert, Raffael?«, fragte sie leise. »Oder warum möchtest du mich mitten in der Nacht sprechen? Das gab es ja noch nie. Ich finde es völlig in Ordnung, du kannst mich wecken, wenn etwas passiert ist, wenn du mich brauchst. Also: Was ist los? Jetzt bin ich wach. Du kannst mir alles erzählen.«
    Er starrte sie an. War nicht in der Lage zu antworten. Sie sah ihm förmlich an, dass seine Gedanken Achterbahn fuhren und er nicht wusste, was er jetzt sagen sollte.
    »Mach das nie wieder«, sagte er schließlich und stand auf. »Sperr dich nie wieder ein! Ich habe die Verantwortung für dich, ich bin für dich da, ich passe auf dich auf. Und ich will nicht, dass du dich einschließt und ich nicht weiß, was mit dir los ist, hörst du? Das ist alles. So einfach ist das. Ich will das nicht, verstehst du? Ich kann dir nicht helfen, wenn irgendwas ist. Geht das in deinen Kopf? Ist das so schwer zu kapieren? Ich will einfach wissen, wann ich die Feuerwehr rufen muss. Mehr nicht.«
    »Aber Raffael! Ich bin doch nicht krank! Ich hatte einen Hexenschuss, das kann ja mal vorkommen, aber mehr ist nicht.«
    »Unterbrich mich nicht!«, schrie er und funkelte sie wütend an. »Ich will einfach wissen, was mit dir los ist, ja? Rede ich chinesisch, oder warum geht das nicht in deinen Kopf?«
    »Es geht ja in meinen Kopf. Alles klar, Raffael. Es ist lieb von dir, dass du dich so um mich kümmerst. Das macht mich richtig froh.«
    »Siehst du. Und darum nehme ich jetzt den Schlüssel. Damit du nicht wieder auf dumme Gedanken kommst. Und damit ich immer überprüfen kann, ob es dir auch wirklich gut geht. Verstehst du?«
    Das war nicht Raffael, der mit ihr sprach. Das war ein Mensch, der nicht wusste, was er sagte, der nicht mehr bei sich und zu allem fähig war.
    Seine Augen waren kalt und ohne jedes Gefühl, als er zur Tür ging und den Schlüssel an sich nahm.
    Sie wusste, dass sie ihn in diesem Zustand mit Worten nicht mehr erreichen konnte.
    Aber morgen früh würde ganz bestimmt alles wieder gut und dieses eigentümliche nächtliche Gespräch vergessen sein, da war sie ganz sicher.
    »Gute Nacht, Lilo«, sagte Raffael, steckte den Schlüssel von außen ins Schloss und drehte ihn zweimal herum.

21
    Um sieben Uhr wurde sie wach, weil sie auf die Toilette musste. Ihre Blase drückte, aber es war sinnlos, um diese Zeit Raffael zu rufen, vor vierzehn

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