Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Bewusstlos

Bewusstlos

Titel: Bewusstlos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Thiesler
Vom Netzwerk:
gegessen hatte. Es wurde wirklich Zeit, und sie spürte, wie ihr Appetit wiederkam.
    Raffael ließ sich in der Küche nicht blicken.
    Er wird sauer auf mich sein, überlegte sie. Wenn ich ihn das nächste Mal sehe, werde ich mich noch mal entschuldigen. Auch wenn ich nicht weiß, worum es geht. Aber das ist ja letztendlich auch egal. Hauptsache, sie konnten wieder ganz normal und freundlich miteinander leben.
    Als sie auf den Flur hinaustrat, fiel ihr Blick zufällig auf die Eingangstür, und sie erstarrte.
    Ihr Wohnungsschlüssel, der immer an einem Haken direkt neben der Tür gehangen hatte, war nicht mehr da.
    Sie ging näher heran, weil sie es nicht glauben konnte, aber es war wirklich so: Der Haken war leer.
    »Raffael!«, schrie sie mit schriller Stimme.
    Keine Reaktion. In der Wohnung war es still.
    Sie schlurfte zu seiner Zimmertür und hämmerte dagegen. Im Zimmer rührte sich nichts.
    Jetzt versuchte sie, die Tür zu öffnen, aber sie war verschlossen.
    Als Letztes ging sie noch einmal zur Haustür. Immerhin konnte es sein, dass Raffael seinen Schlüssel verloren und ihren mitgenommen hatte. Aber warum hatte er ihr dann nichts gesagt?
    Und es war, wie sie beinah schon vermutet hatte: Die Tür war abgeschlossen. Er hatte das Haus verlassen und sie in der Wohnung eingesperrt.
    Ihr ganzes Leben lang hatte sie keine Ahnung davon gehabt, wie es war, depressiv zu sein. Noch nicht einmal nach Wilhelms Tod war sie in ein schwarzes Loch gefallen, aus dem sie glaubte, nicht wieder herauszukommen. Irgendwo in ihrem Herzen oder in ihren Gedanken war immer eine Hoffnung, ein winziges Licht am Ende des Tunnels.
    Aber als sie sich jetzt zurück in ihr Zimmer schleppte, machte sich Hoffnungslosigkeit in ihr breit. Es hatte keinen Sinn mehr, es war alles zu Ende. Eine diffuse Traurigkeit erfüllte sie und nahm ihr die Kraft.
    Als sie wieder in ihrem Zimmer war, schloss sie die Tür hinter sich ab und legte sich ins Bett. So konnte sie wenigstens sicher sein, dass Raffael sie nicht auch noch in ihrem Zimmer einsperrte oder plötzlich vor ihr stand, wenn sie schlief. Und sie zu Tode erschreckte.

20
    »Lilo!«
    Sie schreckte auf und wusste einen Moment überhaupt nicht, wo sie war. Nur langsam kam ihr Bewusstsein wieder, und dann dauerte es noch einmal eine gefühlte Ewigkeit, bis sie den Schalter der Nachttischlampe fand und Licht machen konnte.
    »Lilo!« Die Stimme rief jetzt lauter. Wütender.
    »Lilo, mach auf!«
    Sie sah auf den Radiowecker. Viertel nach drei, mitten in der Nacht. Und vor ihrer Tür schrie Raffael und wollte, dass sie ihre Tür öffnete.
    Lilo wagte es nicht, sich zu rühren. Weil sie so irritiert war, dass sie nicht wusste, was sie machen sollte.
    »Mach diese verdammte Scheißdreckstür auf!«, brüllte Raffael und donnerte mit den Fäusten gegen das Holz. »Warum hast du denn abgeschlossen? Bist du vollkommen durchgedreht? Was soll denn das? Spinnst du denn jetzt total?«
    Was wollte er nachts in ihrem Zimmer? Hatte er sich hineinschleichen wollen, dabei gemerkt, dass die Tür abgeschlossen war, und war dann wütend geworden?
    »Mach endlich auf, verflucht noch mal!«
    Wären außer den Indern im Parterre noch andere Mieter im Haus gewesen, hätten sie bei dem Gebrüll sicher die Polizei gerufen. Davon war Lilo überzeugt.
    Da sie überhaupt keinen Laut von sich gab, wurde Raffael immer lauter und wilder. Er trat gegen die Tür und schlug abwechselnd mit der Faust und mit der flachen Hand gegen das Holz, was ein unnatürlich klatschendes Geräusch machte.
    Sie war wie gelähmt vor Angst.
    Wahrscheinlich war er betrunken und würde in den nächsten Minuten die Tür zertrümmern.
    »Was ist mit dir?«, schrie er. »Verdammte Scheiße, was hast du? Lebst du überhaupt noch? Warum antwortest du nicht? Ist dir was passiert?«
    Lilo hielt den Atem an und regte sich nicht. Dabei war sie sich ziemlich sicher, dass er den Lichtschein im Zimmer sehen musste, wenn er für einen Moment das Flurlicht ausschaltete. Aber auf die Idee kam er vielleicht gar nicht. Jedenfalls glaubte sie, dass er sogar das Knipsen des Lichtschalters hören würde, und darum ließ sie das Licht an. Außerdem fühlte sie sich so sicherer. Würde er die Tür einschlagen und sie läge im Dunkeln, wäre sie ihm noch hilfloser ausgeliefert, als sie es ohnehin schon war.
    Er tobte, wie sie ihn noch nie hatte toben hören. Sie hörte, wie er in die Küche rannte und etwas holte, was er gegen die Tür krachen ließ. Vielleicht einen Hammer aus

Weitere Kostenlose Bücher