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Bewusstlos

Bewusstlos

Titel: Bewusstlos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Thiesler
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gewollt.«
    »Mir gehen alle Leute auf den Zeiger, die das Beste für mich wollen. Und außerdem bist du nicht mehr ganz bei Trost. Ich passe nur auf, dass dir nichts passiert. Mehr nicht.«
    Mit ihm war einfach nicht zu reden.
    Wie versteinert saß sie im Sessel und versuchte mitzubekommen, was draußen vor sich ging, aber sie hörte absolut nichts. Keinen Laut. Zumal die Küchentür quietschte, wenn man sie öffnete. Wahrscheinlich war er bereits aus dem Haus gegangen, ohne etwas zu essen oder zu trinken. Denn wenn er allein in der Küche war, schaltete er sich grundsätzlich das Radio an. Auch das hätte sie eigentlich hören müssen.
    Alle paar Minuten stand sie auf und sah hinunter auf die Straße, aber er kam nicht aus dem Hoftor. Es konnte natürlich auch sein, dass er in einem Moment das Haus verlassen hatte, als sie gerade nicht aus dem Fenster gesehen hatte.
    Sie war irritiert. Im Grunde hatte sie die ganze Zeit darauf gewartet, die Wohnungstür klappen zu hören, denn normalerweise zog er sie nicht leise ins Schloss, sondern schmiss sie mit Wucht zu, sodass sie ins Schloss krachte. Und dieses Krachen hörte man in der ganzen Wohnung.
    Aber es war still geblieben. Es war so gespenstisch ruhig, dass sie sich beim besten Willen nicht vorstellen konnte, dass er noch da war, obwohl er weggehen wollte.
    Lilo wartete noch eine weitere halbe Stunde, und dann wagte sie es.
    Sie riss das Fenster auf und rief um Hilfe. Aber ihre Stimme war schwach, und aus dem fünften Stock musste man sehr laut rufen, um jemanden auf der Straße auf sich aufmerksam zu machen.
    Noch bevor sie irgendein Passant hören konnte, wurde ihre Zimmertür aufgerissen, und Raffael stand zornesbebend vor ihr.
    »Bist du wahnsinnig?«, schrie er. »Was soll die Scheiße? Willst du uns die Bullen auf den Hals hetzen?«
    »Lass mich raus!«, flehte sie. »Bitte, Raffael, ich bin alt, ich halte das nicht aus, eingesperrt zu sein. Ich muss mich waschen, duschen, regelmäßig und mehrmals am Tag essen und trinken, sonst werde ich krank. Alte Körper sind viel empfindlicher als junge. Bitte, Raffael! Lass mich raus, und dann ist alles wieder gut, das verspreche ich dir. Und ich bin dir auch nicht böse.«
    »Kommt nicht in die Tüte. Hast du dir mal zugehört, was du hier für einen Müll erzählst? Das wird ja immer schlim mer, und da soll ich dich rauslassen? Wahrscheinlich fällst du als Nächstes die Treppe runter, ertrinkst in der Badewanne oder rufst die Polizei, weil es regnet, so tüddelig bist du geworden. Du hast schwer einen an der Waffel, meine Liebe. Medizinisch würde man sagen, du bist dement. Du kannst ja nichts dafür, so eine Krankheit ist schlimm, unheilbar, und wie wir gesehen haben, überfällt sie einen über Nacht. Du bist nicht mehr zu retten, Lilo. Und jetzt ist hier Feierabend!«
    Er würde sie also nicht rauslassen. Nie wieder. Sie würde in diesem Zimmer elendig krepieren.
    Resigniert setzte sie sich.
    »Kann ich noch mal aufs Klo? Und was essen?«
    »Nein. Morgen wieder. Vielleicht.«
    Sie verstummte. So entsetzt war sie.
    »Ich erkenne dich nicht wieder, Raffael.«
    Er grinste. »Siehst du? Das liegt auch an deiner Krankheit. Mit Demenz erkennt man seine besten Freunde und Verwandten nicht mehr. All diejenigen, die es gut mit einem meinen. Aber ich nehme es dir nicht übel, Lilo. Du kannst ja wirklich nichts dafür.«
    Er wandte sich zum Gehen, doch in der Tür drehte er sich noch einmal um.
    »Ach, noch was. Keine Brüllereien mehr aus dem Fenster, ist das klar? Versuch das nie wieder. Sonst schlag ich dich tot.«
    Erst jetzt ging er endgültig und schloss die Tür hinter sich ab.

22
    Den gesamten Nachmittag und den ganzen Abend hatte sie am Fenster gesessen und die Straße beobachtet, ob Raffael vielleicht noch mal wegging. Vielleicht lockte ihn ja doch irgendwann die Kneipe. Das war ihre einzige Chance, denn Ausbruchsversuche konnte sie nur unternehmen, wenn er weg war. Und dann würde sie die ganze Straße zusammenbrüllen, bis irgendjemand die Polizei rief. Da war sie sich ganz sicher.
    Aber er ging nicht. Er blieb in der Wohnung. Übersehen hatte sie ihn diesmal auf gar keinen Fall. Sie rückte sogar die Vase vors Fenster, damit sie ihn nicht in der kurzen Zeit, wenn sie die Vase als Klo benutzte, verpasste.
    Sie schaffte es bis kurz vor Mitternacht. Dann konnte sie einfach nicht mehr, trank noch den Rest ihres Wassers und wankte ins Bett.
    Um zehn nach drei wurde sie wach, weil sie vor Hunger heftige Magenkrämpfe

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