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Bewusstlos

Bewusstlos

Titel: Bewusstlos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Thiesler
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du das noch auf die Reihe?«
    »Natürlich«, hauchte sie jämmerlich. »Natürlich, Raffael, es tut mir so leid, es war ein Fehler, ich seh es ein, ich werde mich ändern, ganz bestimmt.«
    »Wer’s glaubt, wird selig. Alte Leute ändern sich nicht mehr. Is’ einfach so. Mach dir nichts vor.«
    Damit ging er aus dem Zimmer.
    Das Licht brannte. Sie setzte der Nachttischlampe den Schirm wieder auf und merkte kaum, dass sie weinte, da ihr die Tränen lautlos über die Wangen liefen.
    Und dann ging das Licht aus.
    Mittags um zwölf kam er wieder herein.
    »Moin moin«, grunzte er relativ ruhig, und das ließ sie zwei Sekunden hoffnungsvoll sein, aber dann ging er zu ihr, riss sie vom Sessel hoch, führte sie zum Bett und fesselte ihre Hände am Kopfende an zwei Streben mit Plastik-Kabelbindern.
    Mit den Händen über dem Kopf lag sie da wie wehrloses Schlachtvieh und empfand die Situation als erniedrigend und obszön.
    »Damit du nicht wieder auf dumme Gedanken kommst«, grinste er. »Ich hab hier jetzt nämlich ein bisschen Arbeit und kann nicht ununterbrochen auf dich aufpassen.«
    Sie schwieg. Sie fragte ihn nicht, was er vorhatte, sie wehrte sich nicht, und sie bettelte nicht.
    Es hatte keinen Zweck, zu kämpfen, zu schimpfen oder mit ihm zu diskutieren. Dabei regte sie sich nur auf, und das trieb ihren Blutdruck in die Höhe, der durch den Wasserentzug sowieso schon viel zu hoch war. Das spürte sie durch ihr Herzklopfen in der Nacht und das Dröhnen in den Ohren, wenn sie erwachte.
    Ganz gleich, was jetzt kam, sie wollte es still ertragen. Er konnte machen, was er wollte, er würde sie einfach nicht mehr erreichen.
    Er ging hinaus und kam mit dem Werkzeugkasten aus der Speisekammer wieder. In der anderen Hand hielt er eine Bohrmaschine, als wäre es eine Pistole.
    Bleib mir vom Leib, dachte Lilo und konnte die aufsteigende Panik nicht unterdrücken. Meinetwegen bohre tausend Löcher in die Wand, aber bleib mir vom Leib!
    »Die Inder da unten im Parterre sind ja ganz reizende Leute«, meinte Raffael. »Sie waren so nett, mir mal kurz ihre Bohrmaschine zu leihen. Ich habe erzählt, ich müsste meiner Oma einen neuen Badezimmerschrank aufhängen. Und da sagten sie, ich könnte die Maschine ein paar Tage behalten, sie bräuchten sie im Moment nicht. Und vielleicht gäbe es ja noch mehr in der Wohnung zu tun. Na klar, in dem Loch hier könnte man monatelang ackern. Die Bruchbude ist doch nicht mehr zu retten.«
    Ich bin es auch nicht, dachte Lilo, und es gab ihr einen Stich. Oh Gott, hilf mir, nur dieses eine Mal. Ich werde klaglos sterben, wenn es an der Zeit ist, aber bitte nicht durch die Hand eines Wahnsinnigen. Zumal du mir noch so eine gute Gesundheit geschenkt hast. Wofür? Um mich hier in diesem Zimmer langsam zugrunde gehen zu lassen?
    »Richtig nette Leute, diese Inder. Wirklich. Die würden dir ihr letztes Hemd geben, wenn du sie drum bittest. Dass es so was überhaupt noch gibt auf der Welt!« Raffael konnte sich gar nicht mehr beruhigen und redete weiter. »Ich würde die sogar gern mal zum Essen einladen, aber das geht ja leider nicht, weil du nicht mehr alle Tassen im Schrank hast. Schade eigentlich. Echt schade.«
    Natürlich. Es war alles ihre Schuld. Und die Inder gingen also davon aus, ihr Enkel wäre bei ihr eingezogen. Na klar. Das war das Naheliegendste. Sie hatte ihnen nie erzählt, dass sie gar keine Kinder hatte. Im Sommer war man sich ab und zu im Hof begegnet, aber sie hatten selten mehr als drei freundliche Sätze gewechselt. Und wenn sie ein paar Minuten miteinander geredet hatten, waren immer der Vermieter und der Hausmeister das Thema gewesen.
    Raffael ging wieder hinaus.
    Es dauerte ziemlich lange, bis er wiederkam. Bestimmt eine Viertelstunde oder zwanzig Minuten. Und er machte sich nicht mal die Mühe, die Tür zuzumachen oder abzuschließen. Gegen einen Kabelbinder war jeder machtlos. Den konnte man nicht durchbeißen, nicht durchscheuern, nicht aufknoten. Und rausrutschen schon gar nicht. Man konnte das Plastik nur mit einer sehr scharfen Schere durchschneiden.
    Hoffentlich kam er nicht auf die Idee, sie hier tagelang einfach auf dem Bett liegen zu lassen.
    Als er wieder hereinkam, trug er den Küchentisch, das heißt, die Platte des Küchentischs. Die Beine hatte er abmontiert.
    »So, meine kleine Schwachsinnige«, sagte er und stellte die Platte neben das Fenster. »Ich glaube, du brauchst hier in deinem Zimmer noch weitere Vorsichtsmaßnahmen. Du bist nicht sicher genug. Ich

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