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Bewusstlos

Bewusstlos

Titel: Bewusstlos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Thiesler
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Erinnerungen.
    In einer kleinen Trattoria aß er Penne dello chef, die schwer und sahnig waren, aber zu drei Gläsern Rotwein wunderbar passten. Anschließend ging er zwar nicht mehr so schnell wie zuvor, aber er fühlte sich stark. Und mit jedem Glas Rotwein ein wenig stärker.
    Er lief sich die Füße wund, umkreiste die Piazza zuerst in einem kleinen, dann in einem weiten Bogen und fing innerlich schon an, auf diese Stadt zu fluchen, die jede Menge Modeboutiquen zu bieten hatte, aber kein Kaufhaus, keinen Elektronikladen oder irgendetwas Ähnliches.
    Ihm war völlig klar, dass er kurz davor war, noch drei oder vier Gläser Wein zu trinken und dann auszuflippen, als er plötzlich vor einem Fotoladen stand, bei dem er sich fragte, wovon er überhaupt noch existierte, wo doch heutzutage jeder Hansel mit einer digitalen Kamera fotografierte, sich seine Bilder am Computer anschaute und ausdruckte oder löschte. Wer ließ denn heute noch Fotos entwickeln?
    Aber letztendlich war es ihm egal, ob dieser Laden innerhalb der nächsten sechs Monate Pleite machte – weil er durch die Schaufensterscheibe in einer Vitrine genau das stehen sah, was er suchte und wofür er letztendlich nach Siena gefahren war.
    Im Geschäft kam eine Verkäuferin sofort zu ihm und fragte ihn nach seinen Wünschen. Er deutete auf die Ferngläser. Sie holte übereifrig sofort mehrere heraus und überschüttete ihn mit Erklärungen, von denen er nicht eine einzige Silbe verstand.
    Die Preisskala ging von hundertvierundzwanzig Euro bis zu eintausendzweihundertfünfundsiebzig.
    Er sah sie sich alle lange und ausgiebig an. Dann sagte er auf Englisch: »Ich will das teuerste. Weil ich glaube, dass es auch das beste ist.«
    Auch wenn ihm dabei das Herz blutete, so viel Geld für ein Fernglas auszugeben.
    Aber man wusste nicht, ob es sich nicht vielleicht doch noch bezahlt machen würde.
    Komischerweise verstand die Verkäuferin ihn sofort und war selig. Nach so einem Verkauf war der Tag für sie gerettet, der drohende Untergang vielleicht wieder ein klein wenig aufgeschoben.
    Sie packte ihm das Fernglas aufwendig ein, was er überflüssig fand, aber er widersprach nicht. So wie sie ihn ansah, war ihm klar, dass er sich auf der Stelle mit ihr verabreden könnte, doch er wollte nicht. Erstens, weil er im Moment anderes zu tun hatte, zweitens, weil Siena einfach zu weit vom Castelletto entfernt war und er sich hier auf keinen Fall ein Zimmer nehmen wollte, und drittens, weil sie für seinen Geschmack einen zu dicken Hintern hatte.
    Also bezahlte er, nahm den unpraktischen Karton mit dem Fernglas unter den Arm und verließ den Laden. Er spürte regelrecht, wie sich die enttäuschten Blicke der Verkäuferin in seinen Rücken bohrten.
    Auf dem Weg zum Busbahnhof trank er noch zwei Grappa und war entsetzt, wie knapp sie eingeschenkt waren. Wenn er ein vernünftiges Hotelzimmer gefunden hatte, musste er sich unbedingt eine Flasche kaufen, um nicht von diesen Halunken abhängig zu sein.
    Um siebzehn Uhr war er zurück in Montesassi.
    Jetzt im Sommer war es bis einundzwanzig Uhr dreißig hell, er hatte also noch eine reelle Chance, ein Hotelzimmer zu finden, von dem aus er auf das Castelletto gucken konnte.
    Er machte sich auf den Weg. Und lief schnell.
    Das Castelletto hatte er schon im Blick, als auf einem Wegweiser stand: San Pietro, 1,5 km .
    Eine Weile lief er bergab, dann stieg der Weg wieder an. Auch der winzige Ort San Pietro lag auf einem Hügel, dem Castelletto gegenüber. In dieser Art würde es rings um die Burg noch mehrere Dörfer geben, vermutete Raffael, aber jetzt galt es, das am besten gelegene Zimmer zu finden.
    Er probierte es mit dem Fernglas vom Ortseingang, von der zentralen Piazza, die nicht größer war als der Hinterhof eines Berliner Mietshauses, und am Ortsausgang. San Pietro lag denkbar ungünstig, direkt der Auffahrt zum Castelletto gegenüber. Von dort konnte er vielleicht die Vögel in den Zypressen beobachten und kontrollieren, wer kam und wer ging, aber mehr auch nicht. Die Vorderseite des Gebäudes war nicht zu sehen.
    Was er brauchte, war ein Blick auf die burgeigene »Piazza«, die auf dem Flyer deutlich abgebildet war. Dort, wo die Feriengäste frühstückten, wo man sich abends beim Wein zusammensetzte – das Herz der Anlage. Er musste weiterlaufen. In San Pietro hatte er keine Chance.
    Mit seinem Fernglas testete er die Standorte von einsamen Agriturismo-Anwesen und durchstreifte einen weiteren kleinen Ort. Aber für das,

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