Bewusstlos
zehn Finger in die Luft drückte.
»Okay, okay!« Raffael gab ihr die Hand, um den Vertrag zu besiegeln. »Okay.«
Die Signora strahlte, und sie verließen das Zimmer.
Im Flur öffnete sie eine der beiden anderen Türen.
»Il bagno«, sagte sie.
Raffael warf einen kurzen Blick hinein. Aha. Das war also das Bad. Es interessierte ihn nicht sonderlich, denn er würde schon damit klarkommen. Auch die Frage, ob er es sich mit anderen Leuten teilen musste, war ihm völlig egal.
Er folgte der Signora wieder nach unten, kaufte sich noch drei Flaschen Rotwein, stieg hinauf in sein Zimmer und sah zum Castelletto.
Die letzten Strahlen der Abendsonne flirrten über die Hügel, in nur wenigen Minuten würde sie verschwunden sein. Noch war die Silhouette des Castellettos in orangefarbenes Licht getaucht, das aber schon langsam ins Grau überging.
Er starrte hinüber. Und war froh über seinen Standort.
Nach und nach gingen im Castelletto, im Turm und im Hof die Lichter an.
Bei Dunkelheit würde er auch mit dem Fernglas nichts mehr sehen können.
Aber morgen war ein neuer Tag. Er öffnete die Flasche.
35
Donato Neri hätte nie gedacht, dass er einmal sein quittegelbes, extrem langweiliges Büro seinem Zuhause mit einer gemütlichen Küche, einem Wohnzimmer mit einem kleinen Kamin und einer Terrasse, an der zwar die Dorfstraße vorbeiführte, die aber dennoch einen Blick über die Hügel und Felder des Valdambra erlaubte, vorziehen würde.
Es lag daran, dass Oma, seine Schwiegermutter Gloria, jetzt anscheinend vollständig den Verstand verloren hatte.
Er konnte die elenden Diskussionen, die sich fast tagtäglich wiederholten, nicht mehr ertragen. Nur die Orte, wo er vor Oma sicher war, waren gute Orte.
Sein Zuhause war es nicht.
Fast jeden Abend beim Essen plärrte sie los. »Ist das denn so schwer zu begreifen, dass ich meine goldene Hochzeit feiern will? Zuerst gibt es eine Messe und anschließend ein riesiges Fest mit allen meinen Freunden. Mit Tanz und Gesang und einem köstlichen Essen. Ihr könnt ja auch kommen. Kein Problem. Fühlt euch eingeladen.«
»Mama, Papa ist seit neun Jahren tot«, erwiderte Gabriella gebetsmühlenartig jeden Abend mit Engelsgeduld, »du bist nicht mehr verheiratet, also kannst du auch keine goldene Hochzeit feiern.«
»Teufel noch mal«, fluchte Oma und setzte energisch ihre Brille auf die Nase. »Ich bin jetzt seit fünfzig Jahren mit Emilio verheiratet und ihm nicht einen Tag untreu gewesen. Da könnt ihr euch alle eine Scheibe von abschneiden, und ich finde, das ist ein Grund, die größte Feier zu veranstalten, die die Welt je gesehen hat.«
Das war Omas Standardrede, zu der Neri nie etwas sagte und nach der er regelmäßig kapitulierte. Gegen Oma kam man eben nicht an. Sie brachte mit ihrem Willen Steine zum Weinen und Eisberge zum Schmelzen, da konnte man nur versuchen, den Schaden so gering wie möglich zu halten.
»Wir haben Emilio vor neun Jahren in Rom begraben, Mama«, flüsterte Gabriella tapfer, »du lebst seit Jahren allein, beziehungsweise hier bei uns, und du solltest dem Himmel danken, dass es dir so gut geht.«
Neri verdrehte die Augen, was Gabriella natürlich mitbekommen hatte, aber sie fuhr weiter fort, auf ihre Mutter einzureden. »Was hältst du davon, wenn wir im nächsten Jahr deinen Achtzigsten ganz groß feiern?«
»Nichts«, erwiderte Oma prompt. »Was gibt es da zu feiern? Dass ich noch lebe, dafür kann ich nichts, aber dass ich meinen Emilio heute noch liebe, das ist großartig. Und das war bei diesem Sturkopf ein Haufen Arbeit und nicht immer leicht. Das sag ich euch.«
An diesem Punkt kapitulierte regelmäßig auch Gabriella.
An diesem Tag war Neri wie immer überaus schweigsam aus dem Büro nach Hause gekommen, hatte seine Uniform ausgezogen, gegen eine kurze Hose und ein T-Shirt eingetauscht und hatte dann wie immer schweigend Omas Goldene-Hochzeit-Fantasien angehört und ihr zugesehen, wie sie Unmengen von Panzanella in sich hineinstopfte und dazu fast eine ganze Flasche ihres geliebten Weißweins trank. Daher war abzusehen, dass sie nicht mehr sehr lange wach sein würde.
Und wahrhaftig: Um halb zehn wankte Oma ins Bett, und dabei schimpfte sie wie ein Rohrspatz, dass es in diesem hochgelobten Land Italien abends noch nicht einmal etwas Gescheites im Fernsehen gab, das einen über das Unverständnis und die Ignoranz seiner Familie hinwegtrösten konnte.
Neri überhörte dies alles. Er hatte beschlossen, sich nicht mehr aufzuregen. Über
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