Bewusstlos
was er suchte, war nichts Passendes dabei.
Er spürte, wie er sauer wurde. Die Rumrennerei mit seiner Tasche stank ihm allmählich gewaltig, und er verfluchte, dass er keinen Führerschein hatte. Aber mit den Fahrstunden und der Theorie hatte es irgendwie nie geklappt. Mal hatte er keine Zeit und mal kein Geld. Und abends, wenn er zur Fahrschule musste, war er meist schon betrunken. Dann hatte er sich überlegt, dass er in der Stadt eigentlich gar kein Auto brauchte und dass er den Führerschein wahrscheinlich in Nullkommanichts wieder verlieren würde, weil er immer ein paar Promille intus hatte. Rund um die Uhr. Also hatte die ganze Angelegenheit keinen Zweck, und er hatte es gelassen.
Aber hier in den toskanischen Bergen war man ohne Auto aufgeschmissen. Das wurde ihm klar, und da musste er sich dringend etwas überlegen.
Ziemlich desillusioniert und kaputt lief er weiter, als plötzlich auf einem weiteren Hügel ein malerisches kleines Bergdorf auftauchte.
Dort hole ich mir erst mal was zu trinken, und dann sehen wir weiter, sagte er sich, und die Aussicht auf eine Flasche Rotwein ließ ihn schneller gehen.
Nur zwanzig Minuten später erreichte er San Rocco. Der Mittelpunkt des Ortes war eine kleine Kirche, die zwischen den Häusern jedoch kaum auffiel. Lediglich eine steinerne Treppe und ein Kreuz über der Tür wiesen darauf hin, dass es sich um ein Gotteshaus handelte. Der starke Duft von blühendem Jasmin stieg Raffael in die Nase, der sich in der warmen Abendsonne noch verstärkte. Er blieb stehen und atmete tief. Es war der Geruch des Südens, und für Augenblicke machte er ihn glücklich.
Sehr viel mehr als die Handvoll Häuser, die den Kirchplatz begrenzten, gab es nicht, und Raffael war ungeheuer erleichtert, dass ein winziger Alimentari-Laden darunter war, denn hier gab es noch nicht einmal eine Bar.
Aber als Raffael das Geschäft betrat, merkte er, dass das Lädchen die Barfunktion gleich mit übernommen hatte, denn er bekam auch hier einen Kaffee, einen Wein und ein vertrocknetes Brötchen mit Schinken und Käse, das wahrscheinlich schon gestern in dieser Vitrine darauf gewartet hatte, gegessen zu werden.
Während er an einem der beiden Stehtische stand und aß und trank, entdeckte er an der Wand ein DIN-A4 -großes Blatt, auf dem dick mit Filzstift »Camere« geschrieben stand.
Er ließ seinen Wein stehen und ging vor die Tür. Da er nur noch an den Alkohol gedacht hatte, hatte er es versäumt, von hier aus mit dem Fernglas in Richtung des Castellettos zu sehen. Das holte er jetzt möglichst unauffällig nach.
Raffael wurde weich in den Knien. Es war ganz nahe! Nur ein kleines Tal lag zwischen San Rocco und der Burg. Und mit diesem fantastischen Fernglas sah er direkt auf den Hof, in dem die Sonnenschirme aufgespannt waren. Ein älteres Ehepaar saß unter einem der Schirme und trank einen Cocktail.
Er dankte dem Himmel, dass er aus lauter Geiz kein Glas gekauft hatte, das fünfhundert Euro billiger gewesen wäre. Er hatte alles richtig gemacht.
Und hier war sein Platz.
Er ging wieder hinein, trank seinen Wein aus und wandte sich an die Frau hinter dem Verkaufstresen.
»Signora«, sprach er sie freundlich an und deutete auf das Schild. »Wo? Where?« Dazu malte er erklärend ein Fragezeichen in die Luft.
Die Verkäuferin hatte seine Frage verstanden und lächelte.
»Qui«, sagte sie und deutete mit dem Finger an die Decke. »Sopra. Venga.«
Sie kam hinter dem Tresen hervor, ging zur Treppe, und Raffael folgte ihr.
Im ersten Stock gab es einen schmalen dunklen Flur mit drei Türen. Die Signora öffnete die hintere mit einem großen, eisernen Schlüssel. Sie ging voran und klappte mit Schwung die geschlossenen Fensterläden auf.
Augenblicklich war der Raum lichtdurchflutet.
Raffael trat ein und sah sich um, was keine drei Sekunden dauerte. Super, dachte er. Spitzenmäßig. Das ist das Allerbeste, was mir passieren konnte.
Ein auf den ersten Blick sauberes, breites Bett, ein kleiner Schrank, ein Tisch mit zwei Stühlen, in der Ecke ein kleiner Sessel mit einer verchromten Stehlampe, die so gar nicht zu dem Sessel passte. Aber das Wichtigste waren das doppelflügelige Fenster und der kleine Balkon.
Mit direktem Blick auf das Castelletto.
Bei diesem Ausblick hämmerte sein Puls an den Schläfen, und er fragte sich, ob ihm die Signora ansah, wie aufgeregt er war.
»Okay«, sagte er. »Okay.«
»Venti euro«, meinte sie und lächelte fast entschuldigend, während sie zweimal ihre
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