Bezaubernd
willst, nehme ich ihn gerne!“
„Er gehört dir. Ich überlasse ihn dir gerne. Und ich gehe jetzt, ich glaube, das ist besser so.“
Ich leere mein Glas in einem Zug, stehe auf und gehe zur Tür. Iris und Tristan bewegen sich keinen Millimeter, Marion läuft mir nach und will mich zurückhalten. Ich gebe ihr ein Küsschen auf die Wange und schlage die Türe zu, das ist mehr, als ich heute Abend ertragen kann. Auf dem Weg zur Metro schicke ich meiner besten Freundin eine SMS, dass sie sich keine Sorgen um mich machen soll und dass ich nicht wegen ihr abgehauen bin. Ich glaube, das mit Iris und mir wird nie funktionieren, ich will aber auch meine Freunde nicht verlieren.
Als ich aus der Station Bercy trete, nehme ich mein Telefon und versuche, Gabriel zu erreichen, noch bevor ich zu Hause bin. Ich habe es noch nie so sehr gebraucht, seine Stimme zu hören. Ich brauche seine Hilfe, seine Anwesenheit, auch wenn es aus der Ferne sein muss. Als ich mich meinem Appartement nähere, das läutende Telefon am Ohr, sehe ich eine große schwarze Limousine, die seltsam vor meinem Haus geparkt steht. Ein Chauffeur, dessen Gesicht mir bekannt vorkommt, schenkt mir sein bezauberndstes Lächeln und reicht mir ein perlmuttfarbenes Kärtchen. Ich erkenne Gabriels Handschrift, noch bevor ich die Worte gelesen habe:
Dies ist eine Entführung. Leisten Sie keinen Widerstand. Es geht um ein gesalzenes Lösegeld.
G.
Trotz dieser rätselhaften Botschaft bin ich nicht beunruhigt. – Vielleicht ein wenig über meinen Zustand nach diesem elend heißen Tag, dem Treppenlauf und dem Abend, der meine Nerven zum Zerreißen gespannt hat. Ich sehe den Chauffeur fragend an, als könnte er meine Gedanken lesen und mir bei der Entscheidung behilflich sein.
Amandine, achteinhalb Jahre alt, braucht jemanden, der ihren Koffer packt.
Der Mann im schwarzen Anzug nimmt mir behutsam das Kärtchen aus der Hand, dreht es um und gibt es mir wieder.
Du musst keine Sachen packen oder dich frisch machen.
Ich will dich, wie du bist, und das sofort. Es ist dringend.
Wir sehen uns in einer Stunde.
Mein Geliebter kennt mich so gut. Ich lächle im Inneren und quetsche mich in das bequeme Auto, das mich zum Flugplatz bringt, an dem schon der Privatjet wartet. Wie immer hat Gabriel alles perfekt vorbereitet. Ich habe keine Ahnung, wo er steckt, und weiß genau, dass mir niemand von der Besatzung etwas verraten wird. Das Ziel ist ein Teil der Überraschung, und ich will auch gar nicht versuchen, es vorher zu erraten. An Bord des Luxusfliegers freue ich mich schon auf das, was mich erwartet. Er hat mich schon lange nicht mehr groß ausgeführt, also sehe ich darin einen Liebesbeweis und seine Lust daran, mich aufs Neue zu verführen. Mein entwischter Geliebter ist nicht ganz vor mir geflohen. Ich sehne mich schon nach seiner ganz besonderen Art der Entschuldigung, nach dem „gesalzenen Lösegeld“, danach, ihn wiederzusehen …
Amandine, sechzehneinhalb Jahre alt, braucht eine kalte Dusche.
Eine Stunde später landen wir in einer Stadt, die ich nicht kenne, und nach einer kurzen Autofahrt entdecke ich ein Ortsschild: La Trinité-sur-Mer. Ich habe nicht die geringste Idee, was Gabriel in der Bretagne sucht und warum er mich hierher einlädt, doch das Wort „gesalzen“ macht nun doppelt Sinn. Mein Chauffeur setzt mich in der Dämmerung am beleuchteten Hafen ab. Vor mir sehe ich ein typisches Ansichtskartenmotiv: orangefarbenes Licht spiegelt sich im blaugrauen Wasser, dahinter das Blau des Himmels.
Vergessen ist die drückende Hitze von Paris, hier spüre ich eine leichte, erfrischende Brise und die salzige Luft erweckt meine Sinne. Als ich den Kai betrete, schwebe ich bereits. Dann entdecke ich eine große, dunkle Silhouette auf einem Segelschiff. Weite Armbewegungen, geschmeidig und anmutig, wie sie nur zu einem einzigen Mann gehören können, laden mich ein, näherzukommen. Gabriel hilft mir an Bord. Wir sprechen kein Wort, wir tauschen nur den längsten, natürlichsten, tiefsten und leidenschaftlichsten aller Küsse. Wie durch Zauberhand (oder durch einen unsichtbaren Skipper) bewegt sich das Boot sanft durch das Wasser. Vom Hafen von La Trinité-sur-Mer fahren wir durch die stille Bucht von Quiberon, noch immer eng umschlungen und vertieft in diesen Kuss.
Völlig außer Atem löse ich mich von ihm, um mein Recht zu verlangen – nur welches, weiß ich noch nicht. Soll ich die Erklärungen verlangen, die mir zustehen, oder soll ich einfach wieder in
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