Beziehungswaise Roman
so wichtig.
Kapitel 30
Schwaches Licht. Warme Körper. Rauer Untergrund. Im Radio bittet Billie Holiday Louis Armstrong, einen kleinen Traum von ihr zu träumen. Ebba rumstiert leise in der Küche. Niemand hustet. Ich rieche Tess’ Haar und lausche eine Zeit lang dem doppelten Atem.
Ich öffne die Augen und stemme mich auf einen Ellbogen. Sune hat sich im Schlaf näher an Tess heranbewegt. Tess hat ihr Bein zwischen ihre geklemmt, Sunes rechte Hand liegt über Tess und ruht auf meinem Arm. Eine Bettdecke ist so zwischen unseren Gliedern verdreht, dass ich meine Beine nicht bewegen kann. Draußen vor dem Fenster ist es noch dunkel, das Licht, das mich geweckt hat, stammt aus der Küche. Vorsichtig löse ich mich aus der Umklammerung und gehe in die Küche, wo Ebba im Morgenmantel steht und sich ein Brot schmiert. Ich küsse ihre weiche, warme Faltenwange und nicke fragend zum Schlafzimmer. Sie nickt. Die Schlafzimmertür quietscht leise, als ich sie weiter aufschiebe, aber Far hätte ich eh nicht geweckt. Er sitzt, sein Kissen im Rücken, aufrecht im Bett und liest einen Ratgeber über Ameisen, beziehungsweise aus seiner Sicht gegen Ameisen. Ein Stich der Hoffnung durchfährt mich. Wer Ratgeber liest, hat noch was vor.
Als er mich bemerkt, hebt er den Blick und lässt das Buch sinken.
»Guten Morgen, Sohn.«
»Guten Morgen. Hast du gut geschlafen?«
»Wie ein Toter.«
Ich starre ihn an.
»Brauchst du irgendwas?«
»Tja, ein neues Fahrrad wäre wohl Verschwendung.«
Bevor mir dazu etwas einfällt, verändert sich seine Mimik. Er wird ein bisschen verlegen.
»Vielleicht kannst du mir doch helfen ... Ich muss ins Bad. Ich fühle mich ein bisschen schlapp, und wenn ich umkippe, kommt nur diese Ärztin wieder ...«
Ich helfe ihm aus dem Bett und muss richtig zufassen. Er stützt sich schwer auf meine Schulter. Seine Muskelkraft scheint komplett verschwunden zu sein, nichts als schwere Knochen. Als wir losgehen, gibt er ein unterdrücktes Geräusch von sich, krümmt sich leicht und bleibt stehen. Vor Schreck lasse ich ihn fast los.
»Was ist? Hast du Schmerzen?«
Er schüttelt den Kopf und bleibt einen Moment in dieser Haltung. Dann richtet er sich auf und atmet durch.
»Nein«, schnauft er, »die Tabletten wirken. Himmel, wenn ich tot bin, verkauf die letzten hinterm Bahnhof, die bringen bestimmt Geld.«
Er versucht ein klägliches Grinsen. Wir gehen langsam weiter. Noch langsamer lässt der Schreck nach. Vor dem Badezimmer stütze ich ihn mit einer Hand und drücke die Klinke mit der anderen herunter.
»Wenn wir wüssten, was du hast, hättest du vielleicht ein Schmerzmittel, das besser wirkt, dich nicht so müde macht und nicht deine Magenschleimhäute ruiniert.« »SCHATZ! ICH KANN MEIN HÖRGERÄT WIEDER NICHT FINDEN!«, ruft er Richtung Küche und verschwindet ins Badezimmer.
Auf dem Esszimmerteppich zuckt Sunes Kopf hoch. Sie schaut sich verschlafen um, die Haare verwuschelt, die Augen fast zugequollen.
»Alles in Ordnung«, sage ich. »Far hat nur einen saublöden Witz gemacht.«
Den letzten Satz sage ich zur Badezimmertür. Vielleicht hört er ihn. Vielleicht überlegt er sich, dass es irgendwann genug ist. Vielleicht hört er dann auf damit. Vielleicht gibt es Marsmenschen.
Sune leckt sich über die Lippen und verzieht das Gesicht. »Wie spät?«
»Halb sieben. Soll ich dich fahren?«
Sie schaut mich benommen an, dann schüttelt sie den Kopf. »Heute Nachmittag erst. Ich mach heute Vormittag frei.« »Wahnsinn«, sage ich.
»Hol Frühstück.«
Sie lässt ihren Kopf wieder aufs Kissen sinken und schließt die Augen. Tess öffnet ihre. Ich knie mich nieder, beuge mich vor und drücke meine Lippen auf ihre warmen. »Guten Morgen.«
Ihre Arme kommen unter der Decke hervorgeschlängelt, umfassen meinen Hals und halten mich fest. Das Laken rutscht herunter und gibt einen schönen Blick auf ihren biegsamen Körper frei, ich rieche ihren Morgengeruch und fühle nichts als freundschaftliche Liebe. Das Leben ist merkwürdig.
»Wie hast du geschlafen?«, fragt sie an meinem Mund. »O.k. Und du?«
»Gut«, sagt sie und lässt meinen Hals los. »Warum bin ich wach?«
»Weil Far rumgeblödelt hat.«
»Ah«, sagt sie und lächelt. Dann kommt ihr die Erinnerung, und das Lächeln erblasst.
Die Badezimmertür öffnet sich.
»Taxi?«, höre ich Fars Stimme.
Ich küsse Tess und gehe los.
Beim Frühstück sitzt Tess neben Far und lässt ihn keine Sekunde aus den Augen. Ihr Flug geht in drei
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