Beziehungswaise Roman
Fremdsprachekriegt man das hier mit. Ich setze mich und greife nach der Thermoskanne. Ich kriege sie nicht zu fassen. Was ist denn mit dieser beschissenen Kanne los? Ich kriege sie nicht zu fassen, nicht zu fassen ...
»Liebster, warte ...«
Tess legt ihre Hand auf meine, nimmt mir vorsichtig die Kanne aus der Hand, schraubt sie auf und gießt mir eine Tasse ein. Sune hebt ihren Blick. Sie sieht immer noch scheußlich aus.
»Er muss ins Krankenhaus.«
Ich ziehe die Schultern hoch und klemme mir meine zittrigen Hände wieder unter die Schenkel.
»Was willst du machen? Ihn gegen seinen Willen einliefern?«
Sie funkelt mich an und schaut zu Ebba.
»Und was macht Ebba, wenn du wieder weg bist und ich auf der Arbeit und Far wieder umkippt? Ihn liegen lassen, bis jemand vorbeikommt?«
Ebba nickt leicht.
»Ich brauche Hilfe. Aber zuerst müsst ihr verstehen, dass er es ernst meint. Er hat zwei Jahre durchgehalten, und in dieser Zeit nicht mit euch zu reden war sehr schwer für ihn. Ihr wisst ja, wie er ist, überlegt doch nur, wie viele Witze er sich in der Zeit verkniffen hat.« Sie lächelt. Als Einzige. Und alleine hält sie es auch nicht lange durch. »Er will hier ...«, sie stockt kurz, »... bleiben. Also bleibt er hier. Er will nicht ins Krankenhaus. Wir müssen uns überlegen, wie es funktionieren kann.«
Nach dieser Ansage lehnt sie sich in ihren Sessel zurück, als hätte sie gerade schwer geschuftet. Und das hat sie. Unangenehme Wahrheiten auszusprechen ist Leistungssport. Niemand weiß das besser als ich.
Nach einer Zeit beginnen wir zu reden, aber kein Wort darüber, wie wir uns fühlen. Aufgabenstellung: Ein Vaterist krank. Wie sollen die Angehörigen sich verhalten? Können sie ihn pflegen? Brauchen sie Hilfe? Und welche? Wer kommt für die Kosten auf? Was ist mit diesen Tabletten – ruinieren die nicht seinen Magen? Kann Hansen nicht Spritzen verschreiben? Aber wer soll die setzen? Haben wir Anspruch auf Pflegepersonal? Und wenn ja, ab wann und für was? Darf er hierbleiben? Hier sterben? Wie ist die Rechtslage? Kann der Staat ihn zwangseinweisen, wenn es ihm schlechter geht? Kann man Menschen gegen ihren Willen operieren lassen?
Durch meine Übersetzungen für Tess wirkt es, als würde ich am Gespräch teilnehmen, aber ich komme einfach nicht mit. Es geht alles viel zu schnell. Viel zu schnell. Es ist wie auf der Bühne, wenn man irgendwo den Anschluss verliert. In einem Moment hat man alles unter Kontrolle. Dann passiert etwas, vielleicht nur ein Zuschauer, der falsch reagiert, oder ein kleines technisches Problem – und man ist raus. Blackout. Ab da kämpft man sich Silbe für Silbe durch den Text und schiebt seinen Fremdkörper über die Bühne. Durchhalten und mir nichts anmerken lassen. Das habe ich in den letzten Jahren schön geübt. Jetzt kann ich es anwenden.
Zum Abendessen gibt es Fars Lieblingsgericht: Milchreis mit Zimt und Zucker und Butter. Er kommt an den Tisch, ignoriert die bedrückende Stimmung und legt mit einer Roland-Geschichte los. Ich esse, ohne was zu schmecken. Gegenüber schiebt Sune sich Essen in den Mund, als sei sie ferngesteuert. Tess drückt mein Bein unter dem Tisch. Irgendwann schiebt Far seinen Teller von sich, reckt sich auf dem Stuhl und lächelt Ebba an.
»Hmmm, Schatz, das war echt lecker.«
Sie lächelt, aber ebenso wie wir mustert sie seinen halb vollen Teller. Bei Milchreis holt er sich normalerweise zweimal Nachschlag. Far schaut jeden der Reihe nach an.
»Schön, dass ihr da seid. Sogar meine Schwiegerfreundin ist da, das ist schön. Wenn ihr in mein Alter kommt, werdet ihr sehen, dass es nichts Schöneres gibt als Familie.« Er nickt vor sich hin. Dann streckt er sich zum Schrank rüber, zieht die obere Schublade heraus und holt mehrere Papiere hervor. Er legt eines vor Sune ab, eines vor mir und setzt sich schwer auf seinen Stuhl.
»Was ist das?«, fragt Sune.
»Meine Patientenverfügung.«
Ich überfliege das Dokument. Im Falle ... irreversibler Bewusstlosigkeit ... schwerer Dauerschädigung ... Ausfall lebenswichtiger Funktionen ... ungünstiger Prognose ... lebensverlängernde Maßnahmen ... ausreichend Schmerzmittel ...
»Das ist nur für den Fall der Fälle, dass ich doch im Krankenhaus lande, aber das wollen wir ja nicht hoffen. Lasse.« Ich löse meine Augen von dem Dokument und schaue ihn an.
»Ja?«
»Verkauf das Sommerhaus.«
Ich glaube, niemand atmet.
»Außer natürlich, ihr wollt es behalten«, fügt er hinzu und schaut
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