Beziehungswaise Roman
Sune an.
Niemand rührt sich. Ebbas Blick nach zu urteilen, ist sie ebenso vor den Kopf gestoßen wie wir.
»Und den Wagen«, sagt er und meint wieder mich. »Du gehst zu Petersen bei Citroën, bei ihm habe ich den Wagen gekauft. Er weiß, dass ich alle Inspektionen gemacht habe, er zahlt bestimmt einen guten Preis.«
Ich atme endlich wieder.
»Jetzt warte doch mal ...«
»Worauf?«, fragt er. »Wollt ihr es lieber aus dem Testament erfahren?«
Ich schaue Sune Hilfe suchend an. Sie richtet sich auf undversucht es noch mal mit dem Krankenhaus, doch Far wehrt entschieden ab: Sterben ist eine persönliche Sache, wir haben ihm ja auch nicht vorgeschrieben, wie er zu leben hat. Er ist alt und krank, und die Schmerzen nehmen zu, und das alles läuft auf Altersheim oder Krankenhaus hinaus, und das wollen wir doch nicht, oder? Sune zögert und wirft mir einen Blick zu, doch mir fällt dazu auch nichts mehr ein. Was soll man da tun? Ihn anschreien? Ihm drohen? Womit denn? Ihn zwingen, ins Krankenhaus zu gehen, um eine Diagnose zu bekommen, die wir mehr brauchen als er?
Nach einem längeren Schweigen lächelt Far wieder in die Runde.
»Habe ich euch eigentlich schon mal die Geschichte erzählt, wie wir bei der Frau vom Bürgermeister mehr Trinkgeld herausschlugen, indem wir Roland als ehrenamtliches Projekt zur beruflichen Integration Behinderter verkauften?«
Als wir unter die Bettdecke kriechen, zittern meine Beine, als sei ich Marathon gelaufen. Ich kuschele mich an Tess, spüre Sune auf der anderen Seite. Im Zimmer hört man bald nur noch unsere Atemzüge. Was für ein Tag. Wann war gestern? Und was war gestern? Eine andere Epoche. Die Zeit, in der mein Vater gesund war. Die letzten vierzig Jahre. Sune beginnt stoßweise zu atmen. Tess dreht sich um und legt ihre Arme um sie. Als hätte sie drauf gewartet, bricht das Schluchzen aus ihr heraus. Wenig später wird Tess angesteckt, und ich habe zwei weinende Frauen im Arm. Ich schmiege mich an Tess’ Rücken, lege einen Arm um sie und Sune, streichele beide und weine mit. Es laufen stille Tränen über meine rechte Wange. Ohne Ende. Durchnässen meinen Kopfkissenbezug. Immer weiter. Ein Tränenstrom. Doch auch der versiegt irgendwann. Daschlafen die beiden längst. Ich liege da und lausche ihren Atemzügen.
Tess knirscht mit den Zähnen, dass ich für einen Augenblick die Luft anhalte. Dann stöhnt sie und spannt die Muskeln an. Ich stemme mich auf den rechten Ellbogen, lege ihr die linke Hand auf den Bauch und streichle mit kreisenden Bewegungen.
»La le lu ... nur der Mann im Mond schaut zu ...«
Sie schlägt die Augen auf und blinzelt benommen.
»... wenn die kleinen Babys schlafen ... drum schlaf auch du ...
Ihr Körper entspannt sich. Ich streichele sie weiter.
»La le lu ... vor dem Bettchen steh’n zwei Schuh ... die sind genauso ...«
Ich halte still.
»... müde ...«, flüstert sie.
Ich streichele weiter.
»... geh’n jetzt zur Ruh’... drum schlaf auch du.«
»Liebe dich«, murmelt sie, nimmt meine Hand, drückt mir ihren Hintern entgegen. Schon schläft sie wieder.
Ich presse mein Gesicht an ihren Nacken und atme ihren Geruch ein.
»Was ist das für ein Lied?«, flüstert Sune.
Ich schaue an Tess vorbei. Sune mustert uns. In dem schwachen Mondlicht hat es den Anschein, als würden ihre Augen schwimmen.
»Ihr Vater hat es gesungen, als sie klein war.«
Sie mustert mich. Dann nickt sie.
»Du liebst sie.«
»Du hast es gemerkt, ja?«
Sie dreht den Kopf und schaut zum Mond hoch, der durch das Fenster hereinscheint. Dann schüttelt sie den Kopf. »Far hat recht, mach ihr einen Antrag. So viel Liebe findet man nicht zweimal im Leben.«
Ich mustere Tess’ Gesicht im Halbdunkel. Ich bin mir nicht sicher, ob sie schon wieder eingeschlafen ist und wie gut ihr Dänisch ist. Ich mustere sie im schwachen Licht, sehe ihre kleinen Falten. Als wir uns kennen lernten, hatte sie die noch nicht. Wir kennen uns schon faltenlang.
»Ich sag dir was: Wenn du mal wieder mit einem Mann geknutscht hast, überlege ich es mir vielleicht, ja?«
Sune antwortet nicht. Ich schaue rüber. Sie hat die Augen geschlossen und den Mund geöffnet. Sie atmet tief und regelmäßig. Ich lege mich hin und starre aus dem Fenster zu den Sternen. Von dort betrachtet sind wir bloß kleine Bioorganismen mit ein paar elektrischen Impulsen namens Emotionen. Bloß weitere kleine atomare Bewegungen in einem Universum voller atomarer Bewegung. Gar nicht so wichtig. Gar nicht
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