Beziehungswaise Roman
viele Moralisten, die fünf Tage gegen ihre sonst so fundamentalen Regeln verstoßen, um pünktlich am Aschermittwoch wieder zu Spießern zu mutieren. Hallooo!! Wenn du so unheimlich klug und reflektiert bist, wieso haben dann alle hier mehr Spaß als du? Schau, wie sie tanzen! Schau, wie dein Mädchen strahlt! Also, scheiß drauf! Seifröhlich! Tanz! Sing! Mach mit! O.k. Ich versuch’s. Punkt 1: Alkohol. Hab ich. Punkt 2: mitwippen. Mach ich. Punkt 3: beim Nachbarn einhängen und schunkeln. O.k., die Piratengruppe hat mich adoptiert. Punkt 4: mitsingen. Geht nicht. Punkt 5: Bützje verteilen. Geht auch nicht. O.k., dann den Joker ziehen: eine Runde Kölsch schmeißen. Wiederholen. Wiederholen. Wiederholen.
Es funktioniert. Für ein paar Minuten gehöre ich dazu. Doch nach einer Schunkeleinlage auf die nicht zu verzeihende Textzeile Heidewitzka, Herr Kapitän! und einem furchtbaren Fünfzig-Zigaretten-und-auch-schon-gekotzt-Bützje von einem Funkemariechen mit schlechten Manierenhöre ich auf, mir was vorzumachen. Ich verlasse meine neuen Freunde unbemerkt, dränge mich in eine Ecke zwischen Theke und Toilettengang, stelle mich dort freiwillig an die Wand und atme durch. Mein Mädchen schunkelt auf einem Fenstersims. Sie schaut zu mir herüber, ich hebe mein Glas, um ihr zuzuprosten, und verliere es an den Stab eines schwulen Papstes, der gerade ein Teufelchen segnen will. Er lacht mich entschuldigend an. Ich zucke die Schultern. Er segnet mich und geht zum Teufel. Und schon geht es wieder los.
»MER LOSSE D’R DOM EN KÖLLE, DENN DO JEHÖT HÄ HIN!!«
Diesmal werde ich von einem Rudel Fußballfans in würzig- verschwitzten Trikots in Richtung Klo gedrängt.
»WAT SOLL DÄ DANN WOANDERS, DAT HÄT DOCH KEINE SENN!!«
Aber hallo hat das keinen Sinn! Ich hätte nie gedacht, dass ich mich mal nach einem A-cappella-Album von Modern Talking sehnen könnte.
»MER LOSSE D’R DOM IN KÖLLE, DENN DO ES HÄ ZE HUS! !«
Die Fankurve drängt mich immer näher auf das Klo zu, vor dem eine Warteschlange steht. Ich hole Luft, um die Hooligans anzuschnauzen. Grundgütiger. Lutscht an Sportlersocken und ernährt euch von Erbrochenem, aber holt nie, niemals Luft neben einem Karnevalsklo!
»UN OP SINGEM AHLE PLATZ, BLIEV HÄ OCH JOT EN SCHOSS!!«
Der Gestank setzt neue Kräfte frei. Ich stampfe zweimal auf Füße, nutze die entstehende Lücke, presse mich zwischen zwei Fußballer hindurch, halte mich an dem Trikot eines Schiedsrichters fest, kassiere Gelb, nutze den Schwung und erwische einen geschützten Eckplatz am Zigarettenautomaten. Gott, was mache ich hier bloß?
Ich schaue mich nach dem Köbes um. Stattdessen steht eine Pippi Langstrumpf plötzlich vor mir und strahlt mich an. Das Gesicht voller aufgemalter Sommersprossen, einen festgenähten Stoffaffen auf der Schulter. Sieht lustig aus. »Du bist doch der lustige Däne!«
Ich runzele die Stirn und lege eine Hand hinter mein rechtes Ohr.
»Was?«
»Der lustige Däne!«, schreit sie und nickt. Herr Nielson wackelt vor Freude mit.
»Nein.«
Sie mustert mich und nickt dann wieder, aber diesmal nicht so überzeugend.
»Siehst ihm echt ähnlich!«
»Du siehst auch jemandem ähnlich!«
Der Köbes kommt vorbei. Ich bestelle einen Latte macchiato. Er drückt mir ein Kölsch in die Hand, schnappt sich selbst eins, prostet mir zu und kippt sich den Glasinhalt in den Magen. Die ganze Flüssigkeit läuft in seinen geöffneten Mund und verschwindet, ohne dass er schluckt. Er senkt das leere Glas, ich nicke ihm anerkennend zu, er zieht weiter. Pippi ist immer noch da. Vielleicht gibt es gerade ein Erdbeben, denn sie muss sich an mir abstützen und wissen, als was ich so gehe. Ich erkläre ihr, dass ich als Nudist gehe und mein Kostüm untendrunter trage. Sie missversteht das. Ich wehre sie ab, bis es ihr zu blöd wird. Sie braucht dafür wesentlich länger als ich.
Als sie endlich weitertrabt, merke ich, dass Tess zu mir rüberschaut. Ich verdrehe die Augen. Sie lächelt. So mustern wir uns durch den brodelnden Raum, bis ihr Mund sich zu einem breiten Lachen verzieht, das mein Herz erschüttert. Gott, wie ich sie liebe. Und doch sind wir die Einzigen in der Stadt, die heute keinen Sex haben werden.
Kapitel 4
Schwaches Licht. Warmes Bett. Warmer Körper. Ich horche auf das Hämmern in meinem Kopf. Ist mir übel! Karnevalskölsch. Brühwarm. Aus diesen Gläsern. Was sagt ein Karnevalist, der am Aschermittwoch mit Herpes, Syphilis und Hepatitis aufwacht? Glück
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